Ist spannend UND regt zum Nachdenken an
Dass Diego Abrio schuldig ist, ist unumstritten. Er saß am Steuer des Autos, in dem auch seine Freundin Mona saß. Er hat sich dazu entschieden, zu fahren, obwohl er Alkohol getrunken und Joints geraucht hat. Er ist verantwortlich für den Unfall, bei dem Mona starb. Doch hat er dafür den Tod verdient?
„Jede Bürgerin und jeder Bürger unseres Landes hat von da an die Erlaubnis, mit Ihnen zu verfahren, wie es ihm oder ihr gefällt. Es gilt hierfür das Prinzip der absoluten Straffreiheit.“
Die App „Guilty“ stellt eine fiktive Gesellschaft auf den Kopf: Ganz bequem vom Handy aus können Bürgerinnen und Bürger abstimmen, welcher Straftäter vorzeitig aus der Haft entlassen wird, um zum Freiwild zu werden. Wird die magische Grenze von 3 Millionen Klicks erreicht, wird der oder die Gefangene mit einer Fußfessel freigelassen. Diese übermittelt täglich um 19 Uhr den Standort und die Vitaldaten des Flüchtenden. Auf ganz legalem Wege kann dieser Mensch dann gejagt und gelyncht werden.
Dieses Pech hat auch Diego: Eigentlich soll er 12 Jahre wegen fahrlässiger Tötung hinter Gittern sitzen. Doch scheint es der Gesellschaft nicht zu reichen – sie wollen ihn tot sehen. Gerade noch im „sicheren“ Gefängnis, wird er nun auf freien Fuß gesetzt und damit zum Gejagten. Diego weiß, dass seine Überlebenschancen nicht gut stehen. Doch er will durchhalten, um zumindest eines zu schaffen: Monas Eltern um Verzeihung bitten.
Atemlose Spannung
Dass ich das Buch innerhalb von einem Tag durchgelesen habe, verwundert nicht: Diego wird bereits nach wenigen Seiten „entlassen“ und muss sich einen Plan überlegen, denn die Meute ist blutrünstig und will seinen Tod. Auch wenn die Geschichte keine brutale Verfolgungsjagd ist, wie man meinen könnte, ist es doch ein Spiel zwischen Jägern und Gejagtem.
Man erlebt die Flucht nicht nur aus Diegos Sicht: Nebenher meldet sich auch eine Radio-Sendung zu Wort, die seine Flucht kommentiert und Bürgerinnen und Bürger um ihre Meinung bittet. Auch bekommt man unterschiedliche Kommentare aus der App „Guilty“ präsentiert, wo sich Jagende und (seltenere) Gegner des Gesetzes der vorzeitigen Haftentlassung auslassen. Die Kommentare sind dabei oft sehr widerlich, aber auch authentisch, sodass man sich solche selbstgerechten Menschen auch in der realen Welt vorstellen kann. Würde es tatsächliche Befürworter für so ein Gesetz geben? Diesen Gedankengang löst das Buch unweigerlich aus.
Weiterhin wird aber auch die Schuldfrage thematisiert: Diego weiß, dass er schuldig ist, und kommt über den Verlust von Mona nicht hinweg. Dieses Gefühl frisst ihn innerlich immer mehr auf. Die Erinnerungen an eine schöne Zeit, ehe der Unfall passierte, sorgen für eine noch gedrücktere Stimmung. Hier schwingt auch ein deutlicher Appell an Jugendliche mit, wie schnell ein Leben zerstört werden kann, wenn man einmal die falsche Entscheidung trifft.
Insgesamt ist das Buch durchweg spannend geschrieben und bietet auch eine interessante Lösung für Diego zum Ende hin. Dennoch fühlt sich die Geschichte etwas unfertig an: Die Auseinandersetzung mit Diegos Schuld ist durchaus abgeschlossen, aber die Diskussion um das Gesetz zur vorzeitigen Haftentlassung nicht. Hier hätte man sich etwas mehr kritische Betrachtung gewünscht.
Fazit
Ein spannender, atemloser Thriller mit Gesellschaftskritik: Was darf eine App oder Social Media im Allgemeinen? Wer bestimmt über die Schuld eines Einzelnen? Das Buch wirft solche und mehr Fragen auf und ist daher eine große Empfehlung.
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