08.2013 Interview mit Dan Wells

Ich schreibe unheimlich gern über jemanden, der dazu gezwungen wird, alles woran er glaubt, in Frage zu stellen.

Jugendbuch-Couch:
Letztes Jahr bist du von Utah in den Vereinigten Statten nach Deutschland gezogen. Im Moment lebst du in der Nähe von Stuttgart. Wie lang wirst du in Deutschland bleiben?

Dan Wells:
Ich lebe in Feuerbach, das ist ein Stadtbezirk von Stuttgart. Wir werden hier alles in allem zwei Jahre bleiben, davon sind allerdings schon acht Monate rum. Wenn das Schuljahr im Juli 2014 zu Ende geht ziehen wir weg, wahrscheinlich also im August. Außer wir entscheiden uns doch länger zu bleiben, das ist absolut drin, denn wir sind sehr gerne hier...

Jugendbuch-Couch:
Warum seid ihr nach Deutschland gezogen?

Dan Wells:
Meine Frau und ich wollten umziehen und wir dachten es würde Spaß machen irgendwo hin zu ziehen, wo es cool ist. Ich arbeite nicht im Büro, da ich Vollzeit Schriftsteller bin und schreiben kann ich überall. Wir haben uns entschieden nach Europa zu gehen und kamen auf Deutschland, da meine Frau Deutsch spricht und sich meine Bücher hier immer gut verkauft haben. Außerdem sind wir schon einige Male nach Deutschland gereist und es hat uns jedes Mal gut gefallen.

Wir entschieden uns für Stuttgart vor allem wegen der Lage. Es liegt schön zentral, um von dort Deutschland, Frankreich und die Schweiz zu entdecken. Ich mag Stuttgart auch weil es der Stadt ähnelt, in der ich aufgewachsen bin. Es ist sehr grün mit vielen Hügeln: eine hübsche, ruhige Stadt.

Jugendbuch-Couch:
Wie unterscheidet sich das Leben in Deutschland von dem in den Staaten? Würdest du sagen, dass es kulturelle Unterschiede gibt?

Dan Wells:
Im Großen und Ganzen ist es nicht so anders wie ich dachte, denn alles was ich in den USA tun möchte, kann ich auch hier tun. Die Unterschiede sind mehr die kleinen Dinge, wie das erste Mal als ich in einen Lebensmittelladen in Deutschland gegangen bin und mit diesen automatisierten Schiebetüren konfrontiert wurde. Ich bekam erst gar nicht heraus wie ich wieder aus dem Laden heraus komme, bis ich verstand, dass ich durch diese Tore muss. Es ist eine Kleinigkeit, aber eben anders.

Ich bin ein großer Fan von Brettspielen; ich spiele sie andauernd. Und Deutschland ist DER Ort für Brettspiele. Ich habe die Spielemesse Essen letztes Jahr besucht und werde da definitiv wieder hingehen. Das war toll.

Jugendbuch-Couch:
Was magst du bzw. magst du nicht in Deutschland? Was wirst du vermissen wenn ihr wieder zurück in die USA geht?

Dan Wells:
Oh Mann, ich werde die Döner Kebaps vermissen. Ich weiß, das ist noch nicht mal was Deutsches, aber es gibt sie einfach überall und sie sind so lecker. Ich mag überhaupt das Essen hier, mein Lieblingsgericht ist Spätzle. Ich liebe dieses Zeug. Was ich noch vermissen werde? Dass einen Steinwurf von meinem Haus entfernt ein Wald ist.

Und die Bahnen werde ich vermissen. Utah hat gar nichts, was sich mit den hiesigen öffentlichen Verkehrsmitteln vergleichen lässt. Ich fahre so gern Bahn.

Jugendbuch-Couch:
Reden wir übers Schreiben. Du arbeitest Vollzeit als Schriftsteller. Wie sieht dein typischer Arbeitstag aus?

Dan Wells:
Gestern ist ein gutes Beispiel. Ich musste um halb acht aufstehen und die Kinder für die Schule fertig machen. Danach habe ich so 30 bis 40 Minuten meine Mails und Twitter gecheckt, meinen ganzen Internetkram erledigt. Mein Arbeitstag ist rund acht Stunden lang, von etwa zehn Uhr morgens bis 18 Uhr. Ich habe zwei bis drei Stunden geschrieben und dann habe ich Videogames gespielt. Dann habe ich wieder geschrieben bis ich eine Pause gemacht habe, um was zu essen und dann weiter geschrieben. Dann wieder eine Pause, in der ich mich mit Spielzeug beschäftigt habe: Ich sammle Spielsoldaten und habe einige angemalt. Danach habe ich wieder geschrieben.

Ich habe gestern eine Menge geschafft gekriegt, es war ein sehr produktiver Tag. Ich habe mehr als 4.000 Worte geschrieben, das ist für mich sehr viel. Aber es ging nur mit Spielpausen. Das schätze ich so an der Selbstständigkeit. Ich habe früher im Büro als Texter für verschiedene Firmen gearbeitet, die Shampoo und so etwas herstellten. Aber falls ich da ein paar Stunden gearbeitet und dann gesagt hätte: "Tschuldigung, ich muss jetzt wirklich mal eine halbe Stunde an die Playstation” hätten sie mich rausgeschmissen.

Aber als ein kreativer Mensch, als Schriftsteller, brauchst du diese Pausen, um zwischendurch einen Film zu gucken oder zu spielen, denn dann wird dein Gehirn wieder aufgeladen und man kann weiter arbeiten. Das ist das Beste daran, dein eigener Chef zu sein.

Jugendbuch-Couch:
Vor diesem Gespräch waren wir auf deiner Lesung deines ersten "Partial" Romans. Du hast das erste Kapitel aus dem Roman Aufbruch vorgelesen, warum hast du gerade diesen Teil ausgewählt?

Dan Wells:
Normalerweise lese ich nicht das erste Kapitel eines Buches vor, aber in "Partials" denke ich, passt das als Einführung. Wenn ich Ich will Dich nicht töten vorstelle, lese ich normalerweise das Kapitel mit dem Tanz (Anmerkung der Redaktion: John Cleaver Trilogie Band 3, S. 237f), weil es die Leute zum Lachen bringt, aber auch unheimlich ist. Das passt dann als Einführung, weil ich hoffe, dass das Buch eben genauso ist.

In "Partials" ist das erste Kapitel traurig, düster und einfach furchtbar. Damit fange ich gern an, weil es perfekt die Grundstimmung der Geschichte einfängt: Furchtbare Dinge passieren und hier ist die Hauptfigur, die versucht das Beste draus zu machen. Die beste Einführung, die ich für das Buch finden kann.

Jugendbuch-Couch:
Wie viel Recherche über Viren und Bioengineering war nötig für die Handlung in "Partials"? Wie bist du da ran gegangen?

Dan Wells:
Ich habe wirklich viel recherchiert. Die Partials sind biologischen Ursprungs, aber sind in einem Labor entwickelt worden. Dementsprechend habe ich viel über genetische Verfahrenstechniken recherchiert bis hin zur Biologie und Physiologie. Die Partials kommunizieren untereinander mit Botenstoffen, dementsprechend habe ich auch viel über Pheromone gelesen und wie diese arbeiten. Natürlich waren aber Viren das, worüber ich am meisten recherchiert habe. Aber was wirklich Spaß gemacht hat, war zu erfahren, was passiert mit der Erde, wenn die Menschen nicht mehr da sind, um sich um alles zu kümmern. Denn es geht um eine Apokalypse, die Handlung spielt 11 Jahre nachdem die Welt, wie wir sie kennen, geendet und eine Seuche alle umgebracht hat.

Ich bin in den Achtzigern groß geworden, als wir alle eine Riesenangst vor Atombomben hatten. Eine nukleare Apokalypse zerstört alles, jedes Gebäude und es bleibt nur Wüste zurück. Eine Seuche funktioniert anders. Überall liegen zwar Leichen herum, aber die Gebäude und alles bleiben bestehen. Ich wollte herausfinden, wie lange es dauert bis ein Haus zusammenstürzt, wie lange bis eine Brücke einstürzt. Und je mehr ich darüber gelesen habe, desto mehr wurde mir bewusst, dass das viele tolle Geschichten beinhaltet. Einfach nur über die Umwelt. Welche Teile der Welt würden komplett überwuchert sein in nur ein paar Jahren? Was würde aus den Millionen Hauskatzen werden? Es war interessant sich damit zu beschäftigen.

In dem zweiten "Partials" Buch Fragmente lasse ich die Figuren die Welt draußen entdecken. Einfach weil ich ihnen zeigen wollte, da gibt es vieles Großartiges zu sehen.

Jugendbuch-Couch:
Nach der Lektüre einiger deiner Bücher scheint es mir, dass du eine Schwäche für böse Figuren oder Kreaturen hast. Man taucht tief in ihre Seele ein und wird überrascht, was man da findet. Ist das so?

Dan Wells:
Ich glaube schon. Ich schreibe unheimlich gern über jemanden, der dazu gezwungen wird, alles woran er glaubt in Frage zu stellen. Wenn ich eine Szene schreiben kann, in der jemand einen moralischen Kompromiss machen musst, den er nie für möglich hielt. Oder das Gegenteil: wenn jemand etwas Gutes in dem entdeckt, was er immer gehasst hat. Das mag ich einfach. Daher kommt das bei den Monstern durch. In der John Cleaver Trilogie sieht man diese andere Seite der Dämonen.

In "Partials" gibt es drei verschiedene Gruppierungen, sogar mehr wenn die Serie fortschreitet. Sie machen alle ganz unterschiedliche Sachen und sie alle versuchen die Welt zu retten. Jeder für sich gesehen zwar auf eine ganz schreckliche Art, aber gleichzeitig völlig nachvollziehbar. Man versteht ihren Werdegang und ihre Motivation. Und das obwohl man nicht mit ihren Entscheidungen konform geht. Ja, das fasziniert mich mehr als alles andere, und ja, darum findet sich das in all meinen Büchern wieder.

Jugendbuch-Couch:
Gibt es ein Vorbild für Kira, die siebzehnjährige Hauptfigur in "Partials"?

Dan Wells:
Ja, Kira basiert auf Hermine Granger von Harry Potter. Als wir die Harry Potter Bücher lasen, fiel uns auf, dass es zwar immer Hermine war, die herausfindet, was die Aufgabe ist und wie man sie löst und das dann auch tut. Aber alle tun immer so als wäre Harry Potter es gewesen.

Ich finde das lächerlich. Vielleicht weil ich zwei Töchter habe. Ich möchte, dass sie sich selbst als Held der Geschichte verstehen und nicht nur als Handlanger des Helden. Darum kam ich darauf wie großartig es doch wäre eine Geschichte zu schreiben, in der Hermine die Heldin ist. In der sie die Lösung hat, alles selbst durchzieht und auch ihre eigenen Fehler machen darf. Die aber auch ihre eigenen Siege hat und vor allem die Bühne mit niemanden teilen muss. Die die Erwählte ist.

Jugendbuch-Couch:
Es gibt einige überraschende Wendungen in Aufbruch, mit denen niemand rechnet. Wir wollen da nichts verraten aber ich würde gerne wissen: Werden einige Fragen der Leser in dem zweiten Buch aufgelöst?

Dan Wells:
Man wird nicht alle Antworten erhalten und man wird neue Fragen haben, aber ja, ein paar Antworten werden gegeben. Es gibt zwei große, schockierende Ereignisse in "Partials". Man erfährt viel über das erste und das zweite wird im zweiten Buch aufgeklärt. Es war wirklich etwas kniffelig das zweite Buch zu schreiben und genug Information zu geben, damit der Leser sich nicht verschaukelt vorkommt, ohne aber alles zu verraten. Manches muss ich ja fürs dritte Buch aufsparen.

Es gab zwei Inspirationen für die Geschichte. Die eine war Hermine Granger, die andere die Fernsehserie Kampfstern Galactica, die ich sehr schätze. Die Partials sind eindeutig von den Zylonen inspiriert. Ich mag das Konzept künstlicher Leute, die real sind, aber eben nicht real. Die wie wir aussehen aber von Natur aus anders sind. Sie denken anders und verhalten sich anders, weil sie sind was sie sind. Ich mag das, aber wollte meine eigene Version davon machen. Am meisten stört mich an der Fernsehserie, dass der Vorspann immer mit den Worten endet: "Sie haben einen Plan."

Mir ist nämlich echt aufgefallen, dass sie eigentlich gar keinen Plan hatten. Aber ich wollte sicher gehen, dass zumindest ich einen Plan habe. Also habe ich bevor ich mit dem Schreiben des ersten Buches begann mir einen Plan zurecht gelegt und mir überlegt, wie das dritte Buch enden wird. Und von da habe ich es rückwärts aufgebaut. Es gibt keine losen Enden, alles wird beantwortet und man bekommt schon eine Menge Antworten im zweiten Band, aber eben nicht alle.

Jugendbuch-Couch:
Das zweite Buch Fragments ist in den USA bereits erschienen. Weißt du, wann es in Deutschland herauskommt?

Dan Wells:
Ja, das zweite Buch wird in Deutschland im Frühling 2014 erscheinen und das dritte Buch im Oktober 2014.

Jugendbuch-Couch:
Danke vielmals, Dan, für das nette Gespräch und noch eine schöne Zeit in Deutschland mitsamt der Familie.

Dan Wells:
Es war mir ein Vergnügen, danke.

Das Interview führte Eva Bergschneider im August 2013.

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