Zoran Drvenkar

08.2019 Lisa Reim im Gespräch mit Zoran Drvenkar, über sein neues Buch "Licht und Schatten".

"Ich schreibe über alles, weil ein Schriftsteller, der das nicht tut, die größte Chance des Schreibens verschenkt. Alles zu sein, alles möglich zu machen, alles zu erleben."

Jugendbuch-Couch: Der Titel Licht und Schatten deutet bereits an, dass es in Deinem neuen Buch um den Kampf zwischen Gut und Böse geht. Ganz so einfach lässt sich die Handlung jedoch nicht auf das Wesentliche runterbrechen. Wie würdest Du selbst deine Geschichte beschreiben?

Zoran Drvenkar: Leider bin ich zurzeit zu nahe an der Geschichte dran, um ihr eine auch nur halbwegs gerechte Beschreibung zu geben. Die Frage müsstest du mir so in einem Jahr stellen, wenn ich das Buch selbst verdaut habe. Ich kann nur sagen, dass ich viele Gut und Böse-Bücher kenne. Wenn ich mich also hinsetze, um einen Roman über dieses vertraute Thema zu schreiben, versuche ich aus einem natürlichen Instinkt heraus, einen neuen Weg in meinem Schreiben zu gehen. Zum einen, um mich selbst nicht zu langweilen, zum anderen, um eine neue Tür aufzustoßen und herauszufinden, was noch möglich ist mit diesem Thema. Ich wollte etwas für mich Unfassbares schaffen, etwas ganz Eigenes auf die Beine stellen – darum ging es mir, darum geht es mir im Schreiben.

Jugendbuch-Couch: Du bist dafür bekannt, in Deinen Büchern viele Erzählperspektiven zu kombinieren. In Licht und Schatten hat mich besonders die Perspektive eines jungen Bären fasziniert. Machst Du Dich für neue Geschichten gezielt auf die Suche nach solchen ungewöhnlichen Ideen?

Zoran Drvenkar: Die Ideen kommen während des Schreibens auf mich zu. Ich plane wenig und lasse mich von den Charakteren führen. Auch sie blitzen auf, wie es ihnen beliebt. Zum Anfang von Licht und Schatten gibt es eine Geburtsszene. Ich hatte keine Ahnung, wer die Eltern waren, ich wusste nicht, wer da geboren wurde, noch wo diese Szene stattfand. Aber ich spürte die Atmosphäre, und ich spürte, wie mich die Charaktere bei der Hand nahmen und sagten: Schau, das ist unsere Geschichte aus Trauer und Wut, aus Kampf, Niederlagen und Liebe, dazu laden wir dich ein, folge uns. Natürlich baut sich im Prozess des Schreibens ein Plan auf. Ich bin kein Medium, dass alle Kräfte durch sich fließen lässt und voilà entsteht ein Roman. Die mühevolle Arbeit ist, sich nicht in der Welt der Ideen zu verlieren und jedem Impuls zu folgen. Als der Bär in die Geschichte einfloss, gab es keinen Gedanken daran, dass er ein Eigenleben entwickelt oder irgendeinen Einfluss auf die nachfolgenden Seiten hat. Dann begann ich das nächste Kapitel und es gehörte ihm. Es ist unerklärbar, warum ich das tat, es hätte auch schiefgehen können, dann hätte ich die Seiten gelöscht und gesagt: Sorry, Bär, aber das war wohl nichts. Da sich der Bär aber als ein starker eigener Charakter entwickelte und plötzlich eine Mission hatte, wurde daraus ein wichtiger Erzählstrang.

Jugendbuch-Couch: Die Geschichte spielt in dem kleinen Dorf Warrosch im Russland des 18. Jahrhunderts. Vieles von der Landschaft und den Gepflogenheiten des Landes ist in das Buch eingeflossen. Hast Du selbst schon einmal die ländliche Gegend von Russland besucht?

Zoran Drvenkar: Im Sinne eines Schriftstellers, der gerne zu Hause ist und gemütlich und kostengünstig im Kopf reist, mache auch ich meine Reisen auf diese Weise. Zweimal habe ich Orte aufgesucht, die zu meinen Büchern passten, zweimal war es ein Reinfall und nicht das, was mein Kopf sich zusammengesponnen hat. Du willst kein Land der Gegenwart besuchen, dass du dann im 18. Jahrhundert beschrieben hast, denn es deckt sich einfach nicht. Es hat auch mehr Reiz in sich, durch Recherchen und Intuition dorthin zu reisen, denn du lässt der Vergangenheit mehr Raum und Luft. Ich schreibe mich regelrecht in die Zeit und die Landschaft hinein. Hinführen tun mich andere Bücher, sie bilden den Hintergrund und die Basis zugleich.

"Ich bin so wählerisch wie eine alte Dame, die in eine Confiserie geht und nach zwei Stunden alle Pralinen durchprobiert hat, ehe sie sich für eine Sorte entscheidet."

Jugendbuch-Couch: Das Buch wirkt sehr komplex, sowohl was den Inhalt als auch den Erzählstil angeht. Da fällt es beim Schreiben bestimmt nicht leicht, den Überblick zu behalten. Planst Du Deine Geschichten vor dem eigentlichen Schreibprozess oder schaust Du währenddessen, wohin Dich die Handlung und die Figuren führen?

Zoran Drvenkar: Der Überblick wächst mit jeder Seite. Bei Licht und Schatten wusste ich nach zweihundert Seiten, wohin der Kurs der Geschichte geht. Bis dahin hielten die Charaktere das Steuer und lenkten mich an jedes Ufer, das ihnen gefiel. Danach teilten wir das Steuer und ich verhandelte alle paar Seiten, was denn mit diesem oder jenem Ufer wäre. Es gab Streit, es gab Diskussionen. Natürlich zweifele ich meine Charaktere auch an. Sie sind unberechenbar, gnadenlos frech und an manchen Tagen arrogant bis in die Knochen. Jeder von ihnen hält sich für unsterblich. Auf eine Art und Weise sind sie es auch, bis sie dann der Tod erwischt oder sie spurlos verschwinden. Wenn dann die erste Romanfassung abgeschlossen ist, geht der harte Teil der Arbeit richtig los und ich betrachte mit Abstand, was ich da getan habe. Szenen fliegen raus, Charaktere verabschieden sich oder bekommen eine andere Bestimmung. Erzählstränge werden gedreht und gewendet, was meistens fatale Folgen hat – einmal mussten hundert Seiten umgeschrieben werden, weil mein Hauptcharakter sich doch anders entschieden hatte und eine ganz neue Motivation zutage legte und ich mich knurrend ans Umschrieben machen musste. Es ist Spaß, es ist Knochenarbeit und letztendlich das Beste, was es für einen Schriftsteller gibt.

Jugendbuch-Couch: Als Autor bist Du ja wahrlich nicht wählerisch, was das Genre angeht – ob nun Phantastik, Thriller oder Liebesgeschichten, ob für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, Du hast schon überall Deinen Fuß in die Tür gesetzt. Gibt es ein Genre oder eine Zielgruppe, für die Du am liebsten schreibst?

Zoran Drvenkar: Oh, da muss ich dir widersprechen. Ich bin so wählerisch wie eine alte Dame, die in eine Confiserie geht und nach zwei Stunden alle Pralinen durchprobiert hat, ehe sie sich für eine Sorte entscheidet. Ich setze auch keinen Fuß in die Tür, nein, ich trete sie auf, wenn ich mich entschieden habe, durch sie hindurchzumarschieren. Mein Schreiben geschieht auch nicht in Genres, darum betone ich auch gerne, dass ich nicht für jemanden schreibe. Ich schreibe über Charaktere, egal welches Alter sie haben, wenn diese etwas zu erzählen haben. Die Auswahl richtet sich immer nach der Stimme, die den Faden aufnimmt. Ich kann locker mit einem Zehnjährigen anfangen und daraus einen dunklen Thriller machen. So wie ich mit einem Achtzigjährigen beginnen kann und daraus wird ein Buch über Kinder. Wortwörtlich muss ich erst eine ganze Kiste Pralinen naschen, ehe ich weiß, welche Geschmacksrichtung für dieses Buch die richtige ist. Romane über Kinder sind leicht und luftig, auch wenn die Dunkelheit und Trauer ihr Leben durchziehen kann, sind sie wie Federn; Bücher über Jugendliche sind unberechenbar und voller Spannung, sie brodeln mit aufkommender Hoffnung und Ratlosigkeit, sie tauchen in Tiefen hinab, die überhaupt keinen Sinn machen und dennoch ihre eigene Logik in sich verbergen; und Bücher über Erwachsene haben ihr ganz eigenes Spektrum, das alles zusammenfasst, was die Kinder und Jugendliche zu bieten haben, dazu kommt natürlich auch eine leichte Resignation, denn Kindheit und Jugend sind vorbei, die ersten Gedanken über das Altern setzen ein, die Welt beginnt sich wie ein zu enger Mantel um einen zu schließen und es bleibt die Frage, was das alles sollte. Ich schreibe über alles, weil ein Schriftsteller, der das nicht tut, die größte Chance des Schreibens verschenkt. Alles zu sein, alles möglich zu machen, alles zu erleben.

Auch die Genres kristallisieren sich erst im Prozess des Schreibens. Ich habe dunkle Romane verfasst, die mir selbst Furcht gemacht haben – Sorry, Du bist zu schnell, Still und Du. In alle vier flossen die eigenen Ängste und Sorgen hinein, alle vier hatte ich zu schreiben, um die Dunkelheit unserer Welt ein wenigbesser zu verstehen. Es war immer eine Suche nach den Wurzeln des Bösen, ein Versuch es zu verstehen, aber nicht es zu verzeihen. Denn ein Verzeihen gibt es für das Dunkle nicht.

Bei den Büchern, die in das Phantastische gehen, ging es mir um Grenzen überschreiten und alles Unmögliche möglich zu machen. So entstand Der letzte Engel, Die Kurzhosengang und Licht und Schatten. Ich stelle unsere Welt sehr gerne auf den Kopf, lasse die Historien so mit meiner Geschichte zusammenfließen, dass der Leser nicht mehr weiß, wo der Übergang zwischen Realität und Phantasie beginnt oder endet. Und natürlich ist es eine Freude alle Möglichkeiten zu erkunden, Engel wiederkehren zu lassen, reale historische Charaktere einzuweben oder vier Jungen über vier Bücher hinweg elf Jahre alt sein zu lassen und sich dabei immer im Fluss der Zeiten zu bewegen. Wenn Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in meinen Büchern eins werden, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Jugendbuch-Couch: Schon in jungen Jahren hast Du mit dem Schreiben begonnen und bist bereits mit Anfang 20 freischaffender Autor geworden. Welchen Beruf würdest Du jedoch heute ausüben, wenn Du kein Geschichtenerzähler geworden wärst?

Zoran Drvenkar: Ich würde wohl malen, und ich werde wohl malen, wenn mir nichts mehr einfällt oder ich mich auch nur ansatzweise anfange zu wiederholen. Sollte das passieren, wird die Bremse hart gezogen und nichts mehr erzählt. Bis dahin setze ich auf Inspirationen von außen – Bücher, Filme und Musik halten mich fit und kreativ auf den Beinen. Und dann natürlich meine Charaktere, die unermüdlich an meine Tür klopfen, an meinem Bettrand warten, dass ich aufwache, oder geduldig neben dem PC sitzen und sich fragen, wann ich mich endlich wieder an die Arbeit setze.

Das Interview führte Lisa Reim im August 2019.
Foto © Corinna Bernburg

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