Junkgirl

  • Beltz & Gelberg, 2011, Originalausgabe
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Yvonne Schulze
10101

Jugendbuch-Couch Rezension vonMär 2012

Die Zeit mit Tara war die großartigste meines Lebens. Und die beschissenste.

Das meint Jugendbuch-Couch.de: "Die Zeit mit Tara war die großartigste meines Lebens. Und die beschissenste."

Die 15jährige unscheinbare Alissa ist das jüngste und ungeliebte Kind einer sehr gläubigen Familie, in der strenge Regeln herrschen. Alissa wird nicht nur auf Schritt und Tritt überwacht, sie bekommt sogar vorgeschrieben, welche Kleidung sie zu tragen hat und mit welchen Leuten sie sich abgeben darf. Doch Alissa erfüllt nicht die hohen Erwartungen ihrer Familie und das bekommt sie ständig zu spüren. Sie wird belächelt und nicht ernst genommen, ihre älteren Geschwister werden ihr ständig als leuchtende Vorbilder vorgehalten. Alissa fühlt sich ausgegrenzt und zieht sich immer mehr zurück.

Doch dann begegnet sie der wenige Jahre älteren Tara. Und Tara ist all das, was Alissa nicht sein darf - selbstbewusst, laut, schrill und mittendrin im Leben. Alissa bewundert die geheimnisvolle Tara und die beiden Mädchen werden ein Paar. Aufgestachelt durch Tara beginnt Alissa nach und nach, gegen die Bigotterie ihrer Familie und die ihr auferlegten Zwänge zu rebellieren. Doch jeder Ausbruch aus den festgeschriebenen Reglements wird sofort mit harten Strafen geahndet. Rebellion wird nicht geduldet und deshalb soll Alissa in ein Internat abgeschoben werden. Schlussendlich reißt Alissa von zu Hause aus und taucht mit Tara in Berlin unter. Doch Tara ist drogenabhängig und so ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Alissa zu Drogen greift und aus ihr das Junkgirl Alice wird.

Mit Alissa hat die Autorin eine sehr komplexe und glaubwürdige Figur geschaffen. Wir lernen Alissa anfangs als das schwarze Schaf der Familie kennen. Sie lebt wie in einem Käfig, darf nichts frei entscheiden oder sich ihrem Alter entsprechend entfalten. Tara ist der erste Mensch, der Alissa so akzeptiert wie sie ist und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Alissa, die zum ersten Mal in ihrem Leben als eigenständiger Mensch wahrgenommen wird, sich voller Bewunderung an Tara hängt. Taras Welt ist so ganz anders als die, die Alissa  bisher kannte, und sie setzt alles daran, so zu werden wie Tara. Doch es wird sehr schnell klar, dass auch bei Tara vieles nur Fassade ist und dass hinter der aufmüpfigen und schrillen Punkqueen ein traumatisiertes Mädchen steckt.   

Mit Tara beginnt für Alissa die beste Zeit ihres Lebens, und sie folgt ihr bereitwillig in die Berliner Drogenszene. Tara verfügt nach dem Tod ihrer Eltern über ein stattliches Vermögen und dieses ermöglicht den beiden Mädchen ein Leben in Saus und Braus mit ungehindertem Drogenkonsum und endlosen Partys. Doch irgendwann ist das Erbe verprasst. Die Zeit der Höhenflüge ist vorbei und das schillernde Leben von Alissa und Tara bekommt tiefe Risse. Anfangs durch Liebe vereint, rücken für die beiden Mädchen immer mehr die Drogen in den Vordergrund und damit letztendlich auch zwischen sie, bis sich Alissa in einem Teufelskreis befindet, aus dem es kein Entrinnen gibt. Ihr Leben besteht nur noch aus Drogen, Beschaffungskriminalität, Prostitution und Gewalt, ihr einziger Lebensinhalt ist die Jagd nach dem nächsten Schuss.

"Am Anfang schämte ich mich noch, wenn ich alten Omas die Handtasche ausräumte, aber irgendwann gewöhnst du dich an alles." 

Die Geschichte beginnt mit dem Ende, und erzählt wird sie aus Alissas Perspektive, die sich nach einem Entzug in einem Internat befindet. Doch in ihr ist immer noch Alice, die wie eine zweite Persönlichkeit nach wie vor nach Drogen verlangt. Die beiden führen innere Zwiegespräche, streiten sich, blicken gemeinsam zurück. Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt, sie wechselt zwischen Jetztzeit und Vergangenheit. Das ist anfangs gewöhnungsbedürftig, doch wenn man sich auf diese Erzählstruktur einlässt, entwickelt die Geschichte eine unglaubliche Sogkraft. Die Sprache spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte und die Autorin setzt diese auch ganz gezielt ein. Bunt, schillernd und mit fast poetischer Leichtigkeit beschreibt sie die Rauschzustände und Höhenflüge. Hart, schonungslos, ja fast grausam zeigt sie die Abstürze nach den Drogenexzessen, die Entzugserscheinungen, den körperlicher Verfall, Schmerzen, Krankheit und Verwahrlosung.

FAZIT

Ein Buch, das Schullektüre sein sollte. Diese Geschichte erschüttert. Sie ist grausam, und sie stimmt nachdenklich, und sie lässt einen lange nicht los. Anna Kuschnarowa beschränkt sich nicht auf Andeutungen, sondern nennt die Dinge beim Namen. Hier wird nichts geschönt, verharmlos oder hinter Metaphern versteckt. Die Umsetzung dieses brisanten Themas ist sehr authentisch und glaubhaft. Die Geschichte ist trotz des sehr ernsten Inhalts spannend erzählt und lässt sich flott lesen. Was am Ende bleibt ist die Hoffnung und jede Menge Raum für Spekulationen und Interpretationen.

Junkgirl

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