Velvet

  • Bloomsbury, 2011, Titel: 'Velvet', Originalausgabe
Velvet
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Yvonne Schulze
8101

Jugendbuch-Couch Rezension vonFeb 2012

Betrug, Täuschung und Geldgier, aber auch Freundschaft, Vertrauen und Liebe im viktorianischen London

Das meint Jugendbuch-Couch.de: "Betrug, Täuschung und Geldgier, aber auch Freundschaft, Vertrauen und Liebe im viktorianischen London"

London 1900/1901. Hier lebt das junge Mädchen Velvet. Sie ist Waise, denn ihre Mutter ist gestorben und ihr alkoholkranker Vater im Kanal ertrunken. Um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitet Velvet in einer Wäscherei, was zur damaligen Zeit schwere körperliche Arbeit war. Da Velvet aufgrund der miserablen Arbeitsbedingungen immer öfter in Ohnmacht fällt, soll sie entlassen werden. Doch die Aufseherin gibt ihr eine letzte Chance und versetzt sie in die Abteilung, wo man sich um die wertvolle Garderobe der vornehmen Londoner Gesellschaft kümmert. So lernt Velvet irgendwann Madame Savoya kennen, ein in London sehr bekanntes und gefragtes Medium. Madame Savoya bietet Velvet eine Stelle als Zofe und Gesellschafterin an, was für Velvet einen enormen gesellschaftlichen Aufstieg bedeutet. Velvet lernt die geheimnisvolle Welt des Spiritismus kennen und sie bewundert Madame Savoyas Fähigkeit, mit Geistern zu kommunizieren. Velvet trägt elegante Kleidung, hat immer genug zu essen und fühlt sich im Haus ihrer großzügigen Dienstherrin sehr wohl, was nicht zuletzt auch an George liegt, dem charmanten Gehilfen Madame Savoyas. Doch irgendwann kommen Velvet Zweifel, ob es bei den Geisterbeschwörungen immer mit rechten Dingen zugeht. Als sie beginnt, den Dingen auf den Grund zu gehen, bringt sie sich damit in große Gefahr.

Mehr Schein als Sein im viktorianischen London

Mary Hoopers Roman zeichnet ein stimmungsvolles Bild der Viktorianischen Zeit. Sie lässt uns eintauchen in die faszinierende Welt des Spiritismus, der zu dieser Zeit nicht nur groß in Mode, sondern auch ein riesiges Geschäft war. Doch dem Leser wird ganz schnell klar, dass hinter dem ganzen Hokuspokus eine gigantische Betrugsmaschinerie steckt. Sogenannte Medien wie Madame Savoya waren skrupellos und schreckten vor nichts zurück, um trauernde Hinterbliebene um ihr Erbe zu erleichtern. Dabei waren sie äußerst einfallsreich und fanden immer neue Wege, um ihr Publikum  davon zu überzeugen, dass sie die Fähigkeit besitzen, mit Geistern zu kommunizieren. Doch der Konkurrenzkampf unter den Medien ist groß und so muss auch Madame Savoya sich immer wieder etwas neues einfallen lassen und dabei schreckt sie vor nichts zurück.    
Die Autorin hat exzellente Recherchearbeit geleistet und offenbart in dieser spannend erzählten Geschichte die Tricks, mit denen diese sogenannten Medien Trauernde über den Tisch ziehen, um sich an ihnen zu bereichern.

Die Geschichte wird zum Großteil aus Velvets Sicht erzählt, dabei sind ihre Naivität und Blauäugigkeit manchmal grenzwertig. Sie verehrt ihre Dienstherrin, die sie aus der Armut befreit hat und die sie äußerst großzügig behandelt. Velvet ist überzeugt, dass so jemand kein Betrüger sein kann, und deshalb verschließt sie auch lieber die Augen, als ihr erste Zweifel an der Glaubwürdigkeit Madame Savoyas kommen. Velvets Verhalten und ihre bedingungslose Loyalität sind bis zu einem gewissen Grad jedoch verständlich, denn was bliebe ihr, wenn sie ihre Anstellung bei Madame Savoya verliert. Der Absturz in die Armut wäre tief und endgültig. Doch irgendwann kommt für Velvet die große Ernüchterung und ihre Geradlinigkeit und ihr Gerechtigkeitssinn gewinnen den Oberhand. Velvet ist keine Überheldin, sie hat Schwächen und macht Fehler, wodurch sie als Figur glaubhaft und sympathisch wird. Ihr zur Seite stehen interessante Nebencharaktere wie ihre Freundin Lizzy und Charlie, der treue Freund aus Kindertagen, der immer dann zur Stelle ist, wenn Velvet ihn braucht.    
Mit der Figur der Amelia Dyer, die es ebenfalls gegeben hat, greift die Autorin auch ein dunkles Kapitel der viktorianischen Zeit auf, nämlich das Schicksal tausender Säuglinge, die in sogenannten Baby-Farmen vor sich hin vegetierten, weil ihre zumeist ledigen Mütter in der engstirnigen und bigotten viktorianischen Zeit gezwungen waren, ihre Neugeborenen wegzugeben, da sie weder die Mittel noch die Möglichkeit hatten, sich selbst um diese zu kümmern oder es nicht wollten, da sie Angst vor gesellschaftlicher Ächtung hatten. Heutzutage kaum noch vorstellbar, doch zu dieser Zeit war es bittere Realität.  

FAZIT

Eine Geschichte über Betrug, Täuschung und Geldgier, aber auch über Freundschaft, Vertrauen und Liebe, alles in allem ein rundherum gelungener Roman und ein kurzweiliges Lesevergnügen. Wer sich für viktorianische Geschichte interessiert, wird an diesem Roman seine Freude haben, denn die Autorin zeichnet ein stimmungsvolles Bild dieser Zeit. Eine zarte Liebesgeschichte ist dezent in die Handlung integriert, so dass auch Romantiker auf ihre Kosten kommen, auch wenn das Buch weit davon entfernt ist, ein Liebesroman zu sein. Die Anmerkungen der Autorin im Anhang geben interessante Zusatzinformationen zum historischen Hintergrund des Romans.       

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