Ein Spiel, das denkt
Das meint Jugendbuch-Couch.de: "Ein Spiel, das denkt"
Der 16-jährige Nick Dunmore bemerkt, dass an seiner Schule in London eine DVD auf verschwörerische Weise die Runde macht und Mitschüler entweder gar nicht mehr oder übernächtigt zum Unterricht kommen. Eines Tages bekommt auch er die Raubkopie eines Computerspiels, nachdem er versprochen hat, sich an eine Reihe von Regeln zu halten. Vor allem darf er über das Spiel mit anderen Menschen keinesfalls sprechen. Kaum Zuhause angekommen, installiert er das Rollenspiel Erebos auf seinem Rechner.
Anfangs spielt Nick ausschließlich online. Aber bald schon gibt der Bote, ein Spielcharakter, der viel über Nick weiß, ihm Aufträge, die er in der realen Welt ausführen soll.
Schwierigkeits- und Härtegrade der Aufträge nehmen mit jedem Spiellevel zu. Es beginnt mit Kleinigkeiten, bis Nick seinen Englischlehrer Mr. Watson mit einem überdosierten Herzmittel töten soll. Der Lehrer hält Erebos für ein gefährliches Spiel. Nick weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Mitschüler von ihm, die die Durchführung von Aufträgen verweigert haben, wurden vom Spiel bestraft. Schließlich weigert sich Nick, den Auftrag zu erledigen. Erebos wirft ihn aus dem Spiel, indem er seine Spielfigur tötet und Nick den Zugang zum Spiel verwehrt. Damit fangen aber die Probleme für Nick erst an.
Die Spielwelt
Poznanski beschreibt die Welt des Spiels detailliert und ohne Fachbegriffe, weshalb sie auch für Leser, die nicht mit Online-Rollenspielen vertraut sind, verständlich ist. Wie in tatsächlichen Online-Rollenspielen, sind die Romanfiguren schnell im Spiel drin, gefesselt, vergessen darüber den Alltag und ihre Bedürfnisse, treffen andere Spieler und begeben sich auf Quests. Das Spiel ist nur an Siegern interessiert, Verlierer werden als Spielfiguren getötet und als Spieler ausgeschlossen. Die Aufgaben, die Erebos seinen Spielern stellt, beginnen vergleichsweise harmlos (Date mit Mädchen, verbotene Fotos machen, unbekannte Objekte von A nach B schaffen) und werden von Level zu Level gefährlicher (Bremse manipulieren).
Um in Erebos erfolgreich zu sein, muss man möglichst viel Zeit online verbringen. Sonst bleibt man von der Lösung vieler Aufgaben und dem Bestreiten vieler Kämpfe ausgeschlossen. Da Erebos zu jeder Tages- und Nachtzeit gespielt wird, sind die Beteiligten nach kurzer Zeit überfordert. Poznanski zeigt gut nachvollziehbar, wie sich die Abhängigkeit vom Spiel entwickelt und die Spieler in eine psychische Lage bringt, in der sie zu Dingen bereit sind, gegen die sie sich im Alltag verwahren würden. Dafür verantwortlich ist vor allem das Konkurrenzdenken, auf das die Schüler in ihrer normalen Entwicklung ausgerichtet werden. Man strebt nicht nur ehrgeizig dem nächsten Spiellevel und der Anhäufung materieller Güter entgegen. Dieses Streben ist eng daran gebunden, Gegner auszuschalten. Kämpfen Spieler auch mitunter gemeinsam, so ist die Kooperation nur vorübergehend, und es gibt viele Gelegenheiten, die Verbündeten als Gegner zu begreifen. Der innere Kreis ist das Oberziel, das nur fünf Spieler erreichen können, jedoch nicht dauerhaft, weil immer die Möglichkeit besteht, von einem anderen Spieler verdrängt zu werden.
Zwei Helden, zwei Teile, zwei Welten
Nick ist in seine Mitschülerin Emily verliebt, die von Erebos nichts wissen will. Nachdem Erebos ihn aus dem Spiel geworfen hat und sich Nicks Situation im Alltag verschärft, versucht er, mit Hilfe Emilys und anderer ehemaliger Spieler, die Figur des Boten zu verstehen und hinter die Absichten des Spiels zu kommen.
Über mehr als die Hälfte des Romans steht die Spielwelt von Erebos im Zentrum, wir lernen das Spiel kennen, die Schüler, die das hohe Suchtpotenzial des Spiels erfahren. Plausibel wird beschrieben, wie das Spiel die Teenager gleichsam aufsaugt und beeinflusst. Als nach rund 300 Seiten Nick aus dem Spiel entfernt wird, gewinnt die Realität wachsende Bedeutung. Die Stimmung verlagert sich von der Dunkelheit der Spielwelt in einen spannenden und hellen Alltag.
Die Autorin hat für die beiden Welten zwei Erzählzeiten gewählt: für die Alltagsszenen (Nicks Realität einschließlich der Aufgaben, die er für Erebos erledigen muss) die Vergangenheit, für die Zeit im Spiel die Gegenwart. Später jedoch verschmelzen die beiden Welten miteinander. Es liegt in der Absicht des Spiels, dass seine Spieler spätestens zum Ende hin die Fähigkeit verlieren, zwischen Spiel und Realität zu unterscheiden. Nur so kann Erebos, wenn überhaupt, sein Ziel erreichen.
FAZIT
"Erebos" ist ein spannender und leicht zu lesender, als Thriller ausgewiesener Jugendroman, der auch seinen Reiz für Erwachsene hat. Ursula Poznanski zeigt zugleich die beeindruckende und die mögliche problematische Seite von Online-Rollenspielen auf.
Deine Meinung zu »Erebos«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!