Die Hassliste

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2010
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  • dtv, 2009, Titel: 'The Hate List', Originalausgabe
Die Hassliste
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Corinna Abbassi-Götte
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonJul 2010

Heldin oder Täterin?

Das meint Jugendbuch-Couch.de: "Heldin oder Täterin?"

[Jugendbuch des Monats - August 2010]
Die 16jährige Valerie gehört zu den Außenseitern an der Garvin High School, und als ob das noch nicht reichen würde, wird sie so gut wie jeden Tag drangsaliert.
Weil sie sich beispielsweise die Haare schwarz färbt und großzügig mit Kajal umgeht, wird sie Todesschwester genannt. Zwar hat sie einen kleinen Freundeskreis, doch eigentlich ist es nur ihr Freund Nick, der sie die Schultage überstehen lässt. Nick ist ihr Seelenverwandter, und er wird ebenso schlecht behandelt wie sie.
Als Valerie eines Tages eine Hassliste beginnt, ist Nick sofort Feuer und Flamme. Die Liste wächst durch verschiedenste Dinge und vor allem Personen schnell an.
Für Valerie scheint die Liste eine Art Ventil zu sein, doch für Nick ist sie viel mehr als das.

Als Valeries Mp3-Player mit Absicht von einer verhassten Mitschülerin kaputt gemacht wird, gibt ihr Nicks Wut darüber Kraft. Während sie noch glaubt, Nick wolle das Mädchen einfach nur zur Rede stellen und ihr gehörig die Meinung sagen, hat Nick bereits ganz andere Pläne.
Er zieht eine Waffe und schießt auf die Schülerin. Nach und nach feuert er auf die Schüler, die auf der Hassliste stehen, erwischt sie jedoch nicht alle. Dafür tötet und verletzt er viele andere.
Valerie selbst wird schwer verletzt, als sie sich mit Absicht vor ein Mädchen wirft, das Nicks nächstes Opfer werden soll.
Danach begeht Nick Selbstmord.

Die Geschichte setzt kurz vor Valeries Rückkehr in die Schule ein.
So ganz genau weiß man anfangs nicht, was eigentlich passiert ist. Und auch die mageren Informationen, die man erhält, sind sehr widersprüchlich. Da ist zum einen die Valerie, die sich vor ein Opfer geworfen hat und damit zur Heldin wurde. Da ist zum anderen aber auch die Valerie, die die Hassliste begonnen hat und die feste Freundin des Amokläufers war.
Doch um welche Valerie es auch immer geht, sie liegt im Krankenhaus und ist unfähig, ihre Gedanken, Erinnerungen und Gefühle zu ordnen. Sie weiß nicht mehr, wer sie wirklich ist.
Der ermittelnde Detektiv, der versucht herauszufinden, ob sie aktiv an dem Amoklauf beteiligt war, erscheint ihr wie ein Feind. Ihre Mutter hat das Vertauen in sie verloren, ihr Vater scheint sie zu hassen, ihre ehemaligen Freunde wenden sich von ihr ab. Durch ihre an Nick gerichteten E-Mails, die bei der Polizei landen, wird sie als selbstmordgefährdet eingestuft und landet in der Psychiatrie.
Dass sie nach den Sommerferien wieder zur Schule muss, erschwert ihre Lage noch, denn für die meisten Schüler und Lehrer ist es so, als habe auch sie eine Waffe in der Hand gehalten.
Erst durch den Psychiater Dr. Hieler und genau das Mädchen, das sie gerettet hat und die die Hoffnung nicht aufgibt, Valeries Freundin werden zu können, gelingt es ihr schließlich, sich selbst wieder zu finden.
Eindrucksvoll, berührend, schockierend und beklemmend wird immer wieder deutlich, in welch emotionalem Zwiespalt Valerie steckt. Ihre Gedanken und Gefühle sind stets nachvollziehbar, vor allem in Bezug auf Nick, den sie trotz seiner furchtbaren Tat nicht hassen kann.
Und dies ist wohl auch das, was beim Lesen für die meiste Betroffenheit sorgt, da es nur zu wahr ist: Niemand ist nur Gut oder nur Böse.
Valerie kann Nick nicht hassen, da sie in den Monaten vor seiner furchtbaren Tat das Gute in ihm kennengelernt hat, und in diesen Nick hat sie sich verliebt.
Genauso kann sie nach dem Amoklauf die Personen, die sie selbst auf die Hassliste gesetzt hat, und die überlebt haben, nicht mehr hassen. Viele von ihnen lernt sie nun erst richtig kennen und stellt fest, dass sie sie zum Teil mag, verstehen kann und nicht ablehnt.
Zum Teil haben sie ihr nie etwas getan, und die bittere Erkenntnis, dass blondes Haar kein Grund ist, aus dem man jemanden hassen sollte, kommt leider zu spät.

Durch Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse mit Nick lernt man diesen Stück für Stück besser kennen und entwickelt sogar trotz Kenntnis darüber, was er tun wird, Sympathie für ihn. Letztendlich ist er nur ein verzweifelter junger Mann, der den Drangsalierungen durch seine Mitschüler eines Tages auf so furchtbar falsche Weise ein Ende setzt.
Valeries Feststellung, dass die Hassliste für sie selbst nur ein Spiel, für Nick aber Ernst war, trifft es wohl am deutlichsten.

Immer wieder werden die Kapitel durch Zeitungsausschnitte einer (Klatsch?-)Reporterin eingeleitet, in denen die Opfer näher beleuchtet werden.
Diese Ausschnitte besitzen (neben dem Informationswert) den zusätzlichen Vorteil, zu zeigen, wie groß der Unterschied zwischen Berichterstattung und Realität ist.
Während in den Berichten von neuem Verständnis und friedlichen Miteinander der Schüler die Rede ist, muss Valerie doch recht schnell erkennen, dass sich nicht viel geändert hat.

Fast scheint Valerie die Ereignisse des Amoklaufs und die Konsequenzen durch verschiedenste Rückschläge nicht hinter sich lassen zu können, doch eines Tages klickt es und sie beginnt, sich energisch für eine gute Zukunft einzusetzen.
In Relation zu ihrer Verzweiflung und der vorigen Unfähigkeit, den Amoklauf ihres Freundes und ihre Rolle dabei anzunehmen, wirkt dies ein wenig plötzlich.
Doch gerade dadurch erhält das Buch ein versöhnliches Ende – und als Leser schlägt man es schlussendlich zu und wird zurückgelassen mit einem Kopf voller Gedanken und Gefühle.

FAZIT

Jennifer Browns Debütroman befasst sich mit dem immer wieder aktuellen Thema Amoklauf. Dabei beleuchtet die Autorin den Täter jedoch nur an zweiter Stelle. Sie nimmt die Freundin des Amokläufers in den Fokus. Auf eindringliche Weise zeigt sie die komplette Spannbreite an Gefühlen, die diese durchleben muss - von Schuld über Wut bis zu Verzweiflung. Außerdem vermittelt sie eindrucksvoll, wie schwierig es ist, nach einem erschütternden Erlebnis sein Selbst neu zu definieren und sein Weltbild wieder zusammenzusetzen.

Die Hassliste

Jennifer Brown, dtv

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