Mamas Liebling

  • Ravensburger, 2007, Titel: 'Slecht', Originalausgabe
Mamas Liebling
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Corinna Abbassi-Götte
6101

Jugendbuch-Couch Rezension vonApr 2010

gar nicht lieb

Das meint Jugendbuch-Couch.de: "gar nicht lieb"

"Mamas Liebling" gehört ohne Zweifel zu den besonderen Büchern, die sich mit dem Thema Gewalt auseinandersetzen – besonders durch den Fokus auf den Täter Nathan und besonders durch die Erzählweise.
Die Geschichte setzt ein, als Nathan in einem Verhörraum der Polizei sitzt. Er fühlt sich sicher, und daher kommt er sehr überheblich und fast schon provozierend gelassen rüber. Er weiß, dass ihm nichts passieren kann, da er zum einen davon ausgeht, dass seine Mutter ihn in Kürze abholt, er zum anderen aber auch der Meinung ist, nichts getan zu haben.
Schnell ist klar, dass ihm jegliches Schuldgefühl fehlt und er sich auf seine manipulative Verhaltensweise verlässt. Er sieht gut aus und weiß sehr genau, wie er sich verhalten muss, um das zu bekommen, was er will. Bei seiner Mutter und in der Schule funktioniert das immer prächtig.
Doch seine Mutter lässt auf sich warten, und Nathans Sicherheit schwindet, ganz langsam, je länger er allein im Raum wartet. Parallel dazu steigt beim Leser natürlich die Neugier, was genau eigentlich vorgefallen ist. Er hat sich an seiner Ex-Freundin Elke gerächt, soviel erfährt man, und entgegen Nathans Auffassung ist dem Leser selbstverständlich klar, dass sie das, was er gemacht hat, keineswegs verdient hat.
Und dann, endlich, beginnt das Verhör. Nathan versucht, sich rauszuwinden, doch der Inspektor scheint sehr genau zu wissen, was geschehen ist – und nun erfährt auch nach und nach der Leser, was Nathan Elke angetan hat.
Es dauert nur wenige Stunden, und Nathans arrogante Selbstsicherheit ist verflogen. Das, was er getan hat, tut ihm schließlich sogar leid.

Die psychologische Entwicklung Nathans steht hier eindeutig im Vordergrund. Man mag Nathan von Anfang an nicht - und am Ende eigentlich noch viel weniger, obwohl er beginnt, Reue zu zeigen. Da man als Leser lange nicht weiß, was genau Nathan getan hat, entstehen die schlimmsten Befürchtungen, angefangen von Vergewaltigung bis hin zu körperlicher Gewalt. Elke ist unschuldiges Opfer, das ist unübersehbar, und das, was Nathan getan hat, ist furchtbar. Ich hatte durch die Verhörsituation und vor allem durch Elkes Reaktion auf die Tat jedoch mit einer extremeren Tat gerechnet. Doch auch dies gehört wohl zur besonderen Erzählweise von Jan Simoen. Er erzählt gerade so viel, um die Fantasie des Lesers anzuregen. Trotz Ich-Perspektive ist der Leser "nur" Beobachter und distanziert sich von Nathans Gedanken und Gefühlen, ist vor allem durch dessen mangelndes Unrechtsbewusstsein eher abgestoßen. Durch die wenigen Fakten, die man über Nathan erfährt, bekommt der Leser zusätzlich die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild von ihm zu machen - und vielleicht einen Grund zu finden, warum er so wurde, wie er ist. Sein gutes Aussehen ist da nur ein Pluspunkt, den er für sich ausnutzt.

"Mamas Liebling" wurde mit dem Niederländischen Jugendliteraturpreis Gouden Zoen für das beste Jugendbuch 2008 ausgezeichnet. So ganz nachvollziehen kann ich dies trotz aller Raffinesse in Erzählweise, Aufbau und angedeuteter Wandlung von Nathan nicht.

FAZIT

Raffiniert regt Jan Simoen die Fantasie des Lesers an, die weitaus Schlimmeres produziert als das tatsächlich Geschehene. Doch durch die Authentizität in der Darstellung von Nathan ist "Mamas Liebling" dann doch wieder schlimm: Nathan funktioniert hervorragend als Beispiel für all die Jugendlichen, die sich selbst überschätzen und denen das Unrechtsbewusstsein fehlt.
Eindeutig ein Buch, das zum Nachdenken anregt, mich aber auch ein wenig ratlos zurücklässt.

Mamas Liebling

Jan Simoen, Ravensburger

Mamas Liebling

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