Die Karte meiner Träume

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2009
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  • Fischer, 2009, Titel: 'The Selected Works of T.S. Spivet', Originalausgabe
Die Karte meiner Träume
Die Karte meiner Träume
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Almut Oetjen
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Jugendbuch-Couch Rezension vonMär 2010

Ein Zwölfjähriger hofft, nur nach seinem Werk beurteilt zu werden

Das meint Jugendbuch-Couch.de: "Ein Zwölfjähriger hofft, nur nach seinem Werk beurteilt zu werden"

Tecumseh Sparrow Spivet, genannt T. S., ist der Sohn eines Ehepaares, das sich nicht viel zu sagen hat. Die Familie lebt auf der Coppertop Ranch in Montana. T. S. ist zwölf Jahre alt, hat eine Schwester, Gracie, und hatte einmal einen Bruder, Layton, der jedoch bei einem dubiosen Unfall mit Schusswaffe ums Leben kam. Seit diesem Unfall ist die Familie kaputt. Der wortkarge Vater bewirtschaftet die Ranch und verbringt seine Freizeit, indem er vor dem Fernsehgerät sitzt, alte Western ansieht und dabei jede Menge Whiskey trinkt.
Seine Mutter nennt der Erzähler nicht Mama oder Mom, sondern Dr. Clair. Sie ist Insektenkundlerin und verbringt ihre Zeit auf Erden mit der Suche nach einem Käfer, den es vielleicht nicht einmal gibt. Sollte es ihn aber doch geben, dann will sie es sein, die ihn entdeckt.
T. S. ist ein äußerst intelligenter Junge, weshalb seine Lehrer, bis auf einen, mit ihm nicht viel anfangen können. In seiner Freizeit fertigt er Illustrationen von allem, was er in der Welt so sieht. Seine Werke schickt er an Wissenschaftszeitschriften, die sie gerne veröffentlichen. Sogar das renommierte Smithsonian Institute gehört zu seinen Abnehmern. Dort weiß aber niemand, dass der begabte Illustrator ein Kind ist. Aber das Smithsonian findet dies bald heraus, weil T. S. den wichtigen Baird Prize verliehen bekommt und zur Überreichung nach Washington eingeladen wird. Und so macht sich T. S. auf den Weg, wie er es in einem Text über Hobos gelesen hat: er springt einfach auf den nächsten Zug.

Das Auge liest mit

Reif Larsens Roman "Die Karte meiner Träume" ist ein fiktionales Tagebuch, großformatig und auch in der Paperbackfassung mit Fadenbindung ausgestattet. Es besteht aus den Haupteintragungen T. S. Spivets als durchgehendem Text und einer Unmenge Kommentaren, Querverweisen und Abbildungen, zumeist am Textrand. Das rund 440 Seiten umfangreiche Werk ist zumindest optisch ein echter Leckerbissen. Es macht bereits Spaß, das Buch einfach nur durchzublättern und Gefallen am Einfallsreichtum seines Verfassers zu finden.

T.S. zeichnet alles

T. S. Spivet erstellt Zeichnungen, Flussdiagramme, Konstruktionsskizzen, Karten, Cartoons, bildet alltägliche Ereignisse ab, wie den Gesichtsausdruck seines Vaters und seine Schwester bei der Hausarbeit. Er fertigt Illustrationen zu größeren Datenmengen, dem Niedergang der Indianer in den USA während der letzten 200 Jahre beispielsweise. Auch eher ungewöhnliche Zusammenhänge werden von ihm erfasst: die Flugbahnen von Fledermäusen um das Haus herum, die Verbreitung der Filialen von McDonald’s im Norden Montanas, die Müllkonzentration in Chicago. Mitunter sind seine Bilder spekulativ, wie das die Veränderung der US-Küstenlinie infolge der globalen Erwärmung wiedergebende. Manche Illustrationen sind Ergebnis gedanklicher Abweichungen von T. S., die meisten jedoch verweisen direkt auf den nebenstehenden Text.

Larsen reichert seine Erzählung an mit lauter Seltsamkeiten, die sich entlang des Weges von T. S. zeigen. Dazu gehören das sprechende Pferd Valero und ein rassistischer Trucker. Sogar eine Abzweigung in ein Wurmloch gibt es, sowie einen Ausflug in die Verschwörungstheorie, wenn der geheime Megatherium-Club an den unmöglichsten Plätzen in Erscheinung tritt. In einem Kapitel macht sich T. S. Gedanken über eine Systematik der Langeweile und benennt fünf Formen.

Das Genie des T. S. Spivet wurzelt in zwei tragischen Zusammenhängen: dem Tod seines Bruders, für den er sich auf unbestimmte Weise verantwortlich fühlt, und den – bildlichen - Tod der Ehe seiner Eltern. Daraus entwickelt er eine Zwangsstörung, aus der er die Energie für seine großartigen Leistungen gewinnt. T. S. scheint sein Leben um die Katastrophe herum streng ordnen zu müssen. Während seiner Zugfahrt erstellt er sogar eine Zeichnung "Unsere Route durch den Rangierbahnhof Bailey". Entsprechend geht es in dem Buch auch nicht um "Die Karte meiner Träume". Der deutsche Titel ist ein wenig irreführend und soll vermutlich den Roman in das Kielwasser solch populärer Titel bringen wie "Der Schatten des Windes" und "Die Landkarte der Zeit".

FAZIT

"Die Karte meiner Träume" ist kein Roman im traditionellen Sinn und erzählt auch keine durchgehende Geschichte. Tatsächlich ist der erzählerische Gehalt recht dünn. Der Originaltitel "The Selected Works of T. S. Spivet" gibt hierauf bereits den ersten Hinweis, weitere zeigen sich beim Lesen. Die Eltern des Helden sind einfache Stereotypen, seine Schwester ist als nerviger Teenager wenig mehr. Zum Ende hin schwächelt die Geschichte etwas.
Zum einfachen Durchlesen ist das Buch folglich nur bedingt geeignet. Manchmal gibt es längere Ausführungen am Rand, gelegentlich muss man das Buch drehen, um Bilder und Text richtig vor sich liegen zu haben. Wer glaubt, die Randinhalte beim ersten Lesen vernachlässigen zu können, stellt bald fest, dass sie wichtige Elemente der Erzählung enthalten. Nicht selten geben sie auch Aufschluss über das Befinden von T. S. Spivet.

Die Karte meiner Träume

Reif Larson, Fischer

Die Karte meiner Träume

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