Einmal

  • Carlsen
  • Erschienen: Januar 2009
  • 4
  • Carlsen, 2007, Titel: 'Once', Originalausgabe
Einmal
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Corinna Abbassi-Götte
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonMär 2010

langsames Erkennen

Das meint Jugendbuch-Couch.de: "langsames Erkennen"

Der 9-jährige Felix lebt seit ungefähr dreieinhalb Jahren in einem katholischen Waisenhaus. Seine Eltern haben ihn dort in Sicherheit gebracht, als es 1942 in Polen für die jüdische Bevölkerung gefährlich wird.
Das Waisenhaus liegt abgelegen in den Bergen, die Kinder sind dort gut versorgt, auch wenn das Leben voller Entbehrungen ist. Der Erste im Badewasser sein zu dürfen und sich nicht als Letzter in der schmutzigen Brühe waschen zu müssen, bedeutet schon viel.
Doch eines Tages kommen die Nazis in das Waisenhaus und verbrennen Bücher. Felix, der nicht versteht, was vor sich geht, denkt sofort an seine Eltern, die Buchhändler sind.
Er muss sie warnen! Dies ist sein erster Gedanke.
Er läuft davon und kehrt zurück in sein Heimatdorf, muss dort jedoch feststellen, dass seine Eltern nicht mehr da sind und eine ihm bekannte, unsympathische Familie nun in seinem früheren Zuhause lebt. Trotz vieler Hinweise auf das, was geschehen ist, versteht Felix nicht, was das alles zu bedeuten hat. Er macht sich auf den Weg in die große Stadt, wo er glaubt, seine Eltern zu finden. Unterwegs kommt er an einem brennenden Haus vorbei, dessen Bewohner erschossen worden sind. Ihre kleine Tochter lebt dagegen noch, ist aber verletzt. Er bringt die Bewusstlose in Sicherheit. Felix und Zelda bleiben fortan zusammen, beide in der Annahme, in der Stadt ihrer beider Eltern zu finden, denn Felix traut sich nicht, Zelda vom Tod ihrer Eltern zu berichten.
Erst als sie in der Stadt erneut auf deutsche Soldaten treffen und beide von einem jüdischen Zahnarzt gerettet und in ein Versteckt gebracht werden, erkennt Felix langsam, was wirklich um ihn herum geschieht.

Schon beim Lesen des Klappentextes fühlt man sich an das Buch "Der Junge im gestreiften Pyjama" von John Boyne erinnert. Daher vorher kurz der dezente Hinweis: "Der Junge im gestreiften Pyjama" ist 2006 erschienen, "Einmal" bereits 2005, und während man auf den ersten Seiten vielleicht noch Vergleiche ziehen kann, so erkennt man doch recht schnell, dass beide Bücher eine völlig andere Geschichte erzählen.
Während der 9-jährige Sohn eines Offiziers in "Der Junge im gestreiften Pyjama" bis zuletzt nicht versteht, was um ihn herum eigentlich passiert, wer die Menschen in den Pyjamas sind und was ihnen angetan wird, so erkennt der 9-jährige Sohn jüdischer Buchhändler langsam, in welcher Gefahr er als Jude schwebt.

Felix ist ein ausgesprochen phantasievoller Geschichtenerzähler, der sich schon im Waisenhaus die wildesten Geschichten ausgedacht, erzählt und in einem kleinen Notizbuch notiert hat. Daher beginnt jedes Kapitel mit dem Wort "Einmal".
Er erzählt dem Leser seine Geschichte, in seinen Worten, mit all seinen Gedanken.
Der Leser erfährt, was er erlebt, was er dabei denkt, wie er Erlebnisse beurteilt und glaubt zu verstehen - und weiß im Gegensatz zu ihm natürlich mehr als er.
Der Leser weiß zum Beispiel, dass die Soldaten im LKW, denen er auf seinem Weg zugewunken hat, mit Absicht auf ihn geschossen haben. Der Leser weiß, dass Felix seine Eltern nicht finden wird.
Man ist gespannt, was er tun wird, und natürlich bangt man um ihn, da ihn seine Unwissenheit mitten hinein in die Gefahr führt. Nicht nur einmal hegt man den Gedanken, dass er besser im Waisenhaus geblieben, dass er dort in Sicherheit gewesen wäre.
Hinzu kommt die Verantwortung für Zelda, zu der er wie ein großer Bruder eine enge Beziehung aufbaut.
Obwohl man sich im Großen und Ganzen denken kann, was mit Felix und Zelda geschieht, gibt es natürlich immer wieder kleine und größere Überraschungen. Ob es sich um kleine Informationen handelt, eine Wendung, die einen gefassten Plan vernichtet oder das widerstrebende Eingehen eines Kompromisses – es bleibt spannend. Nicht zuletzt ist es Felix’ ganz persönlicher Weg aus der Unwissenheit hin zum Erkennen der Situation, die den Leser immer eindringlicher und mit wachsenden Emotionen auf den Seiten hält.

FAZIT

Zu verfolgen, wie der 9-jährige Felix in seiner vollkommen normalen kindlichen Naivität lange Zeit nicht versteht, was den Juden 1942 in Polen angetan wird, und er sich der Gefahr  unwissentlich immer weiter nähert, sorgt für arge Beklemmung.
Die Grausamkeiten des Nationalsozialismus neben kindlicher Unwissenheit, die schmerzhaft authentisch geschildert ist – eindringlicher hätte Morris Gleitzmann dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte nicht darstellen können.

 

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