Dieses Buch ist eine spannende Ergänzung für den Politikunterricht in der Schule
Die Politik-Projektwoche soll mit einem ganz besonderen Ereignis beendet werden: einem Escape-Game zum Thema Demokratie. Marc, Ceylin, Josh, Emma, David und Sarah aus der achten Klasse sind für die kommenden Stunden ganz auf sich gestellt. Sie müssen gemeinsame Entscheidungen treffen, ihren moralischen Kompass ergründen und vor allem knifflige politische Rätsel lösen. Rivalitäten untereinander, Vorurteile und individuelle Prägungen stehen ihnen dabei nicht selten im Weg und führen die Schülerinnen und Schüler zu ganz wesentlichen Fragen: Was bedeutet demokratisches Handeln? Wie viel Macht sollte der oder die Einzelne besitzen? Wie bilden wir uns unsere Meinung? Auf welche Informationen verlassen wir uns?
Gesteuert wird das Escape-Game von einzelnen Jugendlichen aus der neunten Klasse, die das Geschehen von einem Kontrollraum aus beobachten. Künstliche Intelligenz hilft ihnen dabei, um mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu kommunizieren und sie auf die zentralen Aspekte rund um das Thema Demokratie zu stoßen. Bewusst werden einzelne Gruppenmitglieder gegeneinander ausgespielt, Deep Fakes eingestreut und Grenzerfahrungen erzwungen. Alles ein Spiel, oder? Doch was Marc, Ceylin, Josh, Emma, David und Sarah nicht wissen: Auch im Kontrollraum entsteht im Laufe des Experiments eine spürbare Dynamik, die sich kontinuierlich steigert und das Ganze gefährlich aus dem Ruder laufen lässt…
Eine bekannte Idee modern aufbereitet
Experimente im schulischen Kontext sind nach „Die Welle“ von Morton Rhue ein beliebter Handlungsrahmen, um die Dynamik politischer Bewegungen, Überzeugungen und Machtkonstellationen eingängig darzustellen. Demokratie, Klima und Umwelt sowie digitale Medien und Künstliche Intelligenz stehen in den Jugendbüchern von Autor Manfred Theisen immer im Zentrum. In „Escape“ werden all diese Aspekte miteinander verwoben. Insbesondere die Auswirkungen von Fake News und Deep Fakes auf die politische Meinungsbildung werden hier eindrucksvoll dargestellt.
Der Einstieg in die Story fällt etwas schwer, da es keine richtige Einführung in die Handlung gibt. Sofort ist man mitten im Geschehen und die im Klappentext erwähnten Projektwochen erschließen sich als Ausgangspunkt erst später während des Lesens. In Kombination mit dem distanzierten Schreibstil, den man bereits aus anderen Büchern des Autors kennt, braucht es einige Seiten, um mit dem Buch warm zu werden. Für mich fühlte es sich beim Lesen so an, als wäre ich eine stille Beobachterin des Escape-Games und seiner Dynamik.
„Ganz einfach. Wir machen einen Wahlzettel. Und ich werde als Einziger darauf stehen. Schließlich müssen wir irgendwann endlich wieder vernünftig im Escape-Game vorankommen.“
Stück für Stück müssen die sechs Teilnehmenden des Escape-Games Rätsel lösen, in denen es um Grundwerte der Demokratie sowie des gesellschaftlichen Miteinanders geht. Eine alles überwachende App führt sie durch die einzelnen Räume und vergibt Coins für bestandene Aufgaben. Jedoch nicht an die gesamte Gruppe, sondern immer an die Person, die das Game vorangebracht hat. Streit und Missgunst sind hier vorprogrammiert. Nicht zuletzt schon aus dem Grund, weil die Charaktere untereinander nicht die besten Freunde sind.
Marc ist beliebt, gutaussehend, sportlich und seit einem Jahr mit Ceylin zusammen, wobei es in der Beziehung etwas kriselt. Ceylin befindet sich gerade in einer Phase der emotionalen Entfremdung von ihren Eltern, die mit ihren iranischen Wurzeln sehr traditionell verankert sind. Doch Ceylin möchte frei sein in ihren Entscheidungen und ihrem Aussehen. Josh ist der Nerd der Gruppe, in die er sich nur schwer einfügen kann. Er ist der Typ Einzelgänger, fühlt sich von den anderen nicht ernst genommen und hat starke Minderwertigkeitskomplexe. Seit dem Tod seiner Eltern lebt er bei seiner Großmutter, die jedoch selten da ist. Sarah kommt aus einem reichen Elternhaus und fühlt sich den anderen überlegen. Sie hat ein Auge auf Marc geworfen, was die Situation im Escape-Game nicht unbedingt entspannt. Emma ist die Stille und Ängstliche der Gruppe, die man am Anfang gar nicht wirklich wahrnimmt. Doch in ihrer eigenen Unsicherheit sucht sie Halt in rechten politischen Positionen, die sie von ihrer Familie vorgelebt bekommt. David fühlt sich von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern nicht ernst genommen. Er wird immer als der „Aufgedrehte“ mit ADHS hingestellt und aufgrund seiner Hautfarbe unterschwellig diskriminiert.
Der Spannungsbogen der Handlung ist die gesamte Zeit über sehr hoch. In jedem neuen Raum des Escape-Games erwarten die Leserinnen und Leser Überraschungen, Extremsituationen und Enthüllungen über die Teilnehmenden. Doch nicht nur das: Eine Parallelhandlung spielt sich im Kontrollraum ab. Hier hat Tatjana, eine Schülerin der neunten Klasse, die Fäden in der Hand. Das Gefühl von Macht, welches sie als Spielleiterin verspürt, genießt sie in vollen Zügen. Selbst die Lehrkraft agiert in ihrem Beisein wie eine Marionette und kann das Geschehen nicht mehr kontrollieren. Wohin Letzteres führt, wird nicht verraten.
Insgesamt bietet das Buch eine Fülle an Anknüpfungspunkten, um über politische Entwicklungen unserer Zeit, die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und digitalen Medien auf die Meinungsbildung sowie die Rolle und Verantwortung eines jeden Einzelnen in einer Demokratie ins Gespräch zu kommen.
Fazit
„Escape“ ist ein hochaktueller und mitreißender Jugendroman über die Fragilität von Demokratien in unsicheren Zeiten. Absolut lesenswert.



Deine Meinung zu »Escape - Der Schlüssel sind wir«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!