Diese Figuren können einem nur ans Herz wachsen
Ein Gefühl hat es für Nina wohl noch nie gegeben: Langeweile. Wenn sie nicht gerade einen der zahlreichen Aufträge ihrer Mutter erledigt, kümmert sie sich um die Bedürfnisse, Wünsche und Gefühlslagen ihres gesamten Freundeskreises. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht dabei Teo, Ninas beste Freundin seit Kindheitstagen. Doch seit einiger Zeit ist Teo total verändert: Sie eckt bewusst überall an, ihre Dates strotzen nur so vor Red Flags und Nina gegenüber öffnet sie sich kaum noch. Als der sitzengebliebene Aleks, Bad Boy schlechthin, in die Stufe kommt, ist Teo hin und weg, während Nina ein neues Unheil kommen sieht. Niemals darf sich Teo auf diesen Poser einlassen, dessen ist sich Nina sicher. Auch dieses Problem muss sie also fixen…
„Ich komme aus einer Familie von Frauen, die sich nie hinsetzen.“
Die Charakterbeschreibung „People Pleaser“ hat sich schon seit geraumer Zeit als Bezeichnung für Menschen, die es allen recht machen und überall helfen wollen, etabliert. Eine Vorstellung, was sich dahinter verbirgt, scheinen wohl die meisten zu haben. Trotzdem: Nina ist der People Pleaser schlechthin. Als vor zwei Jahren aus der braven und angepassten Teo eine kleine Rebellin wurde, hat sich Nina um einen Therapieplatz bemüht. Jedoch nicht für sich selbst. Sie geht jede Woche zu Frau Tempel, um sich der Psychotherapeutin als Teo auszugeben und deren Probleme zu besprechen. Auf diese Idee muss man erst einmal kommen.
Nach ihrem sehr erfolgreichen Jugendroman „Kanak Kids“ spielt auch Anna Dimitrovas neuester Titel in München. Ninas Viertel Trudering grenzt dabei an Neuperlach, wo Dessi, die Protagonistin des letzten Buches, zuhause ist. Es soll nicht die einzige leise Verknüpfung der beiden Geschichten bleiben. Im Zentrum des Plots stehen dieses Mal die Themen psychische Gesundheit sowie toxische Beziehungen. Von klein auf hat Nina gelernt, dass sie in erster Linie anderen Menschen helfen soll. Und dabei ist es egal, ob es sich um nahe Freunde und Bekannte oder wildfremde Leute handelt. Ihre bulgarische Familie lebt in sehr traditionellen Rollenmustern: Während die Frauen rund um die Uhr arbeiten, den Haushalt machen und anpacken, wo es nur geht, dürfen sich die Männer entspannt zurücklehnen. Für Nina ist das absolut normal. Genauso normal ist es für sie, immer zwei Varianten von Aufsätzen zu schreiben, um ihren Freund Eminem gleich mit zu versorgen. Oder die leckere Banitsa, ein bulgarisches Gericht aus Eiern, Feta und Blätterteig, direkt an ihre Freunde als Frühstück weiterzugeben, ohne selbst davon gekostet zu haben.
Der Roman schafft es, mit einem kleinen Augenzwinkern und humorvollen Dialogen, die Absurdität von Ninas Verhalten zu entlarven. Mit Aleks hat sie eine noch viel größere Prüfung vor sich, wie sich schnell herausstellt: Hinter dem arroganten, aufgepumpten Mädchenschwarm verbirgt sich ein zutiefst verletzter junger Mann, der noch immer die Narben seiner Kindheit spürt. Dies hat im Laufe der Jahre zu Kompensationsstrategien geführt, die Nina nun zu „fixen“, wie es so gerne nennt, versucht.
Keine Frage, der Unterhaltungsfaktor stimmt und die liebenswürdigen Figuren möchte man am Ende gar nicht mehr ziehen lassen, aber ab einem gewissen Punkt der Handlung muss man sich bewusst machen, dass die Story teilweise auch als Comedy durchgehen könnte. Bewusst überspitzt, manchmal vermutlich gewollt unglaubwürdig und stets mit einem frischen Wortwitz versehen, wird insbesondere versucht, der Entscheidung für eine Psychotherapie eine gewisse Leichtigkeit und Normalität zu verleihen. In meinen Augen werden die Lösungen und Heilungswege für manche, teils sehr ernst zu nehmende Erkrankungen ein wenig zu platt dargestellt. Hier wäre mit etwas mehr Komplexität und einer weiteren, tiefgründigeren Ebene noch mehr drin gewesen. So ist es beispielsweise schade, dass zu viel Wert auf ein rosiges Happy End gelegt wird.
Wunderbar lebensnah
Großartig getroffen ist jedoch die authentische Jugendsprache der Figuren. Von „legit“ und „nice“ über „echt sad“ und „Deeptalk“ ist alles mit dabei. Außerdem spiegelt sich die Lebenswelt in ihren Freizeitbeschäftigen, Wünschen und Haltungen meines Erachtens sehr glaubwürdig wider. Wie in „Kanak Kids“ geht es auch in „People Pleaser“ um das Zusammenleben verschiedener Kulturen, unterschiedlichste Migrationsgeschichten und eine erfrischende Vielfalt und Diversität. Letztere übrigens auch im Hinblick auf Lebensformen und sexuelle Orientierungen. Nichts wirkt dabei aufgesetzt und konstruiert. Das Setting und seine Charaktere sind einfach ehrlich.
Natürlich darf in diesem Coming-of-Age-Roman nicht die Liebe fehlen. Um Teos und Aleks’ Zukunft kümmert sich Nina ja schon intensiv, allerdings vergisst sie auf dieser Reise immer wieder ihre eigenen Gefühle. Finn, ihr stärkster Rivale um den Platz des oder der Klassenbesten, entpuppt sich nach Jahren der Feindseligkeit zu einem durchaus guten Freund. Es wäre kein Spoiler hier vorwegzunehmen, dass die Wege hinsichtlich der jeweiligen Love Interests klar vorgezeichnet sind. Romantisch, aber nie kitschig, und vor allem eher leise und ohne zu große Intimität kommt diese Liebesgeschichte daher. Eine runde Sache!
Fazit
Das Setting, die Figuren und die Message sind grandios gewählt. Bei allem Humor fehlt mir an einigen Stellen eine Prise mehr Tiefgang. Dennoch: Ein toller, absolut empfehlenswerter Jugendroman.

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