Der Tunnelbauer

Hardcover, 192 Seiten

ISBN: 9783836962308

Wertung wird geladen
Judith Bäcker
10101

Jugendbuch-Couch Rezension vonMai 2024

Unheimlich spannendes Zeitzeugnis in Romanform

Für Achim läuft es eigentlich gut. Nach dem Abitur hat er einen Studienplatz und mit Chris, einem Mädchen aus seiner Clique, läuft es ganz gut. Aber Achim lebt mit seiner Familie im Ostteil von Berlin. Es ist 1961 und die politische Situation spitzt sich im Osten Berlins weiter zu. Es wird immer schwieriger in den Westteil der Stadt zu kommen. Aber Achim will auf keinen Fall in der DDR bleiben. Er will in einer Demokratie leben, studieren was er will und seine politische Meinung frei äußern dürfen. Auch wenn der Preis dafür ist, dass er seine Familie und Freunde zurücklassen muss. Also besorgt er sich einen falschen Pass und flüchtet. Nach einem nervenaufreibenden Grenzübertritt, bei dem er wieder und wieder kontrolliert wird, kommt er schließlich in seinem neuen Leben in West-Berlin an. Und dann wird über Nacht die Mauer um Berlin gebaut und es ist unmöglich, diese noch zu verlassen. Zudem gibt es kaum noch irgendwelche Fluchtwege. Und im Grenzstreifen der Mauer werden alle erschossen, die versuchen aus der DDR zu fliehen.

Achim versucht mit allen erdenklichen Mitteln den Freunden in Ost-Berlin zur Flucht in den Westen zu verhelfen, aber die Kontrollen werden immer strenger und die Stasi setzt mit Macht überall ihre Spitzel ein, die sie meist mit übelster Erpressung gewinnt. Als schließlich ein Freund in Ost-Berlin von der Stasi unschuldig verhaftet wird, ist Achim klar, dass er unbedingt helfen muss, so vielen Menschen wie möglich zur Flucht zu verhelfen und er schließt sich einer Gruppe an, die Fluchttunnel graben und unterirdisch die Menschen in den Westen Berlins holen. Doch dieses Unterfangen ist ein Wettlauf gegen die Zeit und mit hohem Risiko für alle verbunden.

„Das ist gut!“, sagt Achim anerkennend. Die Bernauer Straße ist durch die Mauer geteilt. Die Häuser auf der einen Straßenseite stehen im Osten, die gegenüberliegende Häuserzeile gehört bereits zum Westen.“

Die Geschichte um Achim und seine Freunde liest sich wie ein Krimi. Das politische System der DDR, das die Menschen überwacht und bei Fluchtversuchen einsperrt, foltert oder erschießt und Menschen dazu bringt, Freunde und Verwandte zu bespitzeln und zu verraten, wird in vielen grausamen Details erzählt und es ist erschreckend, dem zu begegnen. Achim und seine Freunde, das sind junge Erwachsene, die sich auf ein freies Leben freuen: Studieren, mit Freunden ausgehen, sich verlieben und vielleicht eine Familie gründen. Doch mit der Abriegelung der DDR scheinen diese Träume unerreichbar. Die Flucht aus diesem Staat, ist für sie der einzige Weg ein selbstbestimmtes Leben führen zu können und so nehmen sie alle Risiken in Kauf, um sich diese Leben zu ermöglichen. Der Tunnelbau ist gefährlich und mühsam und alle könnten jederzeit sterben, wenn der Tunnel nicht hält, oder die Stasi ihnen auf die Schliche kommt. Und dennoch liegen sie Nacht für Nacht unter der Erde und graben mit allem, was ihnen zur Verfügung steht.

„Mutti in Haft? Warum bloß?, fragt er sich, als er eine Kneipe gefunden hat, in der er bestimmt auf niemand treffen wird, den er kennt. „Zum Loch“ heißt sie.

Es ist sehr eindrucksvoll, wie es Maja Nielsen gelingt, diesen Teil der deutschen Geschichte zu erzählen. Vieles ist so ungerecht und kaum auszuhalten und zugleich sind Achim und seine Freunde auch einfach „nur“ junge Menschen, die ihr Leben leben wollen. Diese Ambivalenz macht die Geschichte so hochspannend. Zugleich erfährt man viel über einen ganz besonderen Teil der deutschen Geschichte. Die große Zivilcourage, die Menschen dazu gebracht hat, alles zu riskieren, um anderen Menschen zur Flucht zu verhelfen. Das ist ein starkes Stück der deutschen Vergangenheit.

Übrigens: Diese Tunnel sind in Teilen bis heute in den "Berliner Unterwelten" zu besichtigen und zeigen eindrucksvoll wie riskant dieses Unterfangen gewesen ist.

Fazit

Ein unheimlich spannender Roman und ein Zeitzeugnis über einen Teil der deutschen Geschichte, der heute kaum mehr vorstellbar erscheint.

Der Tunnelbauer

Maja Nielsen, Gerstenberg

Der Tunnelbauer

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Der Tunnelbauer«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

LGBT
in der Jugendliteratur

Alljährlich wird im Juni der Pride Month gefeiert, um die Vielfalt unserer Gesellschaft hervorzuheben. Weltweit erheben Schwule, Lesben, Transgender, Bisexuelle und Menschen anderer sexueller Orientierungen ihre Stimme für Toleranz und stärken so die Gemeinschaft. LGBTQ+ ist schon lange kein Randthema mehr in der Jugendliteratur, sondern ein zentraler Aspekt zahlreicher Neuerscheinungen.

mehr erfahren