Weiße Tränen

Hardcover, 240 Seiten

ISBN: 9783958542051

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Theresa Mürmann
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonOkt 2023

Wenn ein Theaterstück zum Politikum wird…

Der 16-jährige Lenni fühlt sich in seinem Leben ziemlich wohl: Er hat mit Serkan einen lustigen und zuverlässigen besten Freund, keine besonderen Probleme in der Schule oder mit sich selbst und auch mit seiner Familie kommt er gut klar. Naja, ein bisschen skurril ist vielleicht die Tatsache, dass Lennis Eltern ein Beerdigungsinstitut führen und sie einige Leichen im Keller haben, aber daran hat sich der kleine Ort im Schwarzwald schon gewöhnt. Alles in Ordnung - bis zu dem Tag, als Benjamin an Lennis Gymnasium kommt und die Schule ganz schön aufmischt. Plötzlich sieht sich der beliebte Leiter der Theater-AG, Herr Prasch, Rassismusvorwürfen gegenüber…

„Schule ohne Rassismus“- auf diesen Titel ist Lennis Gymnasium besonders stolz. Doch das Label wird gehörig auf die Probe gestellt, als Benjamin prüft, wie viel Inhalt denn wirklich dahintersteckt. Denn Benjamin ist Schwarz und traurigerweise schon an die meisten Formen von Alltagsrassismus gewöhnt. So betont der Direktor bei der Begrüßung die internationale Ausrichtung der Schule, Luisa ist sich sicher, dass Benjamin bestimmt gut tanzen kann und Herr Prasch stellt die altbekannte Frage: „‚Ich meine, wo kommst du wirklich her?‘“ Stück für Stück entlarvt Benjamin den rassistischen Kern „nett gemeinter“ Aussagen und scheut dabei keine Diskussion.

„Wir anderen schwiegen betreten und glotzten zu Boden. Wir wollten das Thema jetzt endlich abhaken und mit den Proben beginnen.“

Wie die meisten seiner Mitschüler*innen ist Lenni von den ständig neu aufbrandenden Rassismus-Debatten genervt. Besonders die Theater-AG wird in ihren Planungen für das neue Stück (passenderweise „King Kong“) aus dem Zeitplan gebracht. Doch es gibt einen, den Benjamins Vorwürfe aufwühlen: Serkan. Auch für Letzteren gehören Momente der Diskriminierung und Ausgrenzung ebenfalls zum Alltag. Was er vorher vielleicht mit Witz und Humor übermalt hat, bahnt sich nun einen anderen Weg: Wut und Verletzlichkeit.

Mit ihrem neuen Jugendroman ist die Autorin Kathrin Schrocke wieder mittendrin im Hier und Jetzt. Lebensnah und authentisch greift sie das Thema Alltagsrassismus auf. Besonders ist dabei, dass mit Benjamin und Serkans Familie nicht die Opfer die Hauptprotagonisten sind, sondern Lenni, der erst diskussionsmüde und dann immer hellhöriger wird. Es sind manchmal nur die kleinen Nuancen, die den Unterschied machen: Während Lenni und Luisa von einer ihnen unbekannten Reisegruppe nett gegrüßt werden, würdigen dieselben Rentner*innen diese wenig später keines Blickes - nun ist Serkan mit dabei. Immer häufiger wird Lenni sich dieser Unterschiede bewusst. Bis es zu einer Reaktion seinerseits kommt, dauert es jedoch.

Lenni wird durch den aufkeimenden Widerstand seitens Serkan mit Theorien und Gedanken konfrontiert, die ihm vollkommen neu sind. Niemals sonst hätte er sich wahrscheinlich mit dem Begriff der „Weißen Tränen“ beschäftigt: Der Täter wird nicht als solcher behandelt, sondern erfährt breite Zustimmung und Unterstützung, während dem eigentlichen Opfer Empörung entgegenschlägt. Das zynische und abweisende Verhalten seines Freundes verletzt Lenni, doch gleichzeitig entdeckt er, wie viel Wahrheit dahintersteckt.

Zögernder Aktivismus

Ganz kleinschrittig, jeden Tag ein bisschen mehr, realisiert Lenni, dass Benjamin und Serkan wohl tatsächlich einige Nachteile in ihrem Leben aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft haben. Aber ist er bereit, deswegen eigene Nachteile zu erfahren? Was würde Herr Prasch von ihm denken, wenn er sich für die beiden einsetzte? Könnte er seinen Traumpraktikumsplatz trotzdem antreten? Gerade dieses Zögern macht Lenni unglaublich authentisch. Er wird nicht zum großen Helden, der plötzlich auf die Straße geht und von heute auf morgen eine komplette Wandlung durchlebt. Dennoch keimt auch in Lenni ein kleines Feuer der Wut auf, dass sich in kleinen Situationen des Alltags bahnbricht. Angefacht womöglich auch durch seine besondere Beziehung zu Serkans Schwester Elif…

Fazit

Ein aufrüttelnder und wichtiger Jugendroman über das Thema Alltagsrassismus, bei dem man sich nicht selten selbst ertappt fühlt. Sehr gerne empfohlen!

Weiße Tränen

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