Sonne an dunklen Tagen

Hardcover, 160 Seiten

ISBN: 9783702659813

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Sabine Bongenberg
8101

Jugendbuch-Couch Rezension vonNov 2023

Das Leben in Afghanistan verdunkelt sich

Damsa ist ihnen gerade noch davongelaufen - in ihrem Hochzeitskleid. Ihre Stiefmuter und ihr Vater haben verlangt, dass sie einen fremden Mann heiratet und dabei ist sie doch erst fünfzehn. Sie haben ihr alles weggenommen, sie bis zur Hochzeit eingesperrt und in einem unbeobachteten Moment ist Damsa doch die Flucht gelungen. Aber wo soll sie jetzt hin? Wer kann ihr helfen? Man sollte glauben, so eine Geschichte spielt im finsteren Mittelalter. Aber sie spielt in der Gegenwart. In einem Land, das sich Afghanistan nennt, das von den Taliban beherrscht wird und in dem außer ihnen keiner etwas zu sagen hat.

Der Siegeszug der Taliban und zerschlagene Hoffnungen

Die kanadische Schriftstellerin Debora Ellis beginnt mit der Handlung ihres neuen Romans unmittelbar nach der neuen Machtergreifung der Taliban im Jahr 2021. Die Menschen wurden von der Schnelligkeit der Entwicklungen überrascht. Viele versuchten, zum Flughafen zu flüchten und von hier aus mit den zuletzt startenden Maschinen noch ins rettende Ausland zu gelangen. Vielleicht können sich viele von uns noch an die dramatischen Szenen in den Nachrichten erinnern - an verzweifelte Menschen, die versuchten, sich an die Außenseite der Flugzeuge zu klammern. In dieses ganz Chaos gerät der 11jährige Rafi, der mit seiner Tante Maryam in die USA reisen will. Anders als bei vielen anderen, war der Anlass ihrer Reise allerdings nicht die Flucht, sie wollten ihre neue Zukunft aufbauen. Rafi wollte in New York eine Ausbildung als Baletttänzer beginnen, seine Tante - in Afghanistan eine berühmte Sängerin - wollte dort ihre Karriere ausbauen. Sie geraten in die große Fluchtbewegung und mit ihnen erlebt der Leser hautnah die dramatischen Ereignisse, die den Einzug der Taliban begleiteten.

Deborah Ellis, die bereits vor der Rückkehr der Taliban viele Monate in einem afghanischen Flüchtlingscamps in Pakistan verbrachte und mit Frauen und Mädchen sprach, zeichnet ein bedrückendes Bild des neuen Afghanistans. Da ist die Polizistin Shauzia, der es immer noch gelingt, Frauen und Mädchen, die vor ihrer Familie flüchten mussten, in ein sicheres Asyl zu bringen. Da ist Rafi, dessen großer Traum es ist, ein großer Tänzer zu werden und seine Eltern Parvana und Asif, denen es gelang, gegen alle Widerstände eine Zuflucht für Frauen und Mädchen zu schaffen, die vor ihrer Familie flüchten mussten. Ihnen allen wird regelrecht der Boden unter den Füßen weggezogen, denn mit der neuen Machtergreifung der Taliban, die alle Vorschriften nur dem Islam unterordnen und diesen dann auch noch in ihrem Sinne auslegen, hat nichts mehr Bestand. Ellis zeichnet ein mitreißendes, aber dennoch einfühlsames Bild dieser Menschen und es ist ihre große Leistung, dass der Leser die Menschen Afghanistans in ihrer Verzweiflung versteht und mitleidet, ohne die Menschen und ihre Kultur zu bemitleiden.

Ich hätte mir viel mehr gewünscht....

Was mir allerdings bei der Lektüre dieses Buches nicht bewusst war, dass es sich bei der Sonne an dunklen Tagen um einen Fortsetzungsband einer Serie handelt. Deborah Ellis erzählte bereits in mehreren Bänden ("Sonne im Gesicht", "Allein nach Mazar-e Sharif", "Am Meer wird es kühl sein", "Ich heiße Parvana") über den Kampf der Frauen und Mädchen in Afghanistan um Bildung und um ein selbstbestimmtes Leben. Grundsätzlich versteht man den neuen Roman auch ohne Lektüre der Vorgänger, allerdings kam mir sehr vieles zu kurz vor und zu vielem hätte ich mir genauere Informationen gewünscht. Möglicherweise werden die in den Vorgänger-Bänden geliefert. Dennoch ist mein Kritikpunkt - und auch mein einziger Kritikpunkt - dass die neue Geschichte einfach recht kurz ausfällt. Das mag aber möglicherweise auch damit zusammenhängen, dass die neue Geschichte Afghanistans erst wieder seit 2021 geschrieben wird.

Ellis lässt ihren Roman mit Worten der Hoffnung enden - wer die aktuellen Nachrichten über die Herrschaft der Taliban verfolgt, vermag sie allerdings nur schwerlich zu teilen.

Fazit

Deborah Ellis beschreibt gefühlvoll und dennoch mitreißend, wie plötzlich sich das Leben in Afghanistan für seine Menschen - besonders noch einmal für seine Frauen und Mädchen - änderte. Ihre große Leistung ist die, dass die, die dieses Buch lesen, nicht nur Verständnis für die Situation der Menschen in Afghanistan aufbringen, sondern möglicherweise jeden Geflüchteten von dort ehrlich willkommen heißen.

Sonne an dunklen Tagen

Deborah Ellis, Jungbrunnen

Sonne an dunklen Tagen

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