Der Traum vom „Friedensland“
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat etwas Schreckliches Realität werden lassen. Etwas, von dem wir glaubten, dass es das hier nicht gäbe: Krieg mitten in Europa. Menschen sind auf der Flucht vor grausamen Angriffen, Familien werden auseinandergerissen und Tod und Leid bestimmen ihren Alltag. Wie wertvoll etwas ist, merkt man in der Regel erst, wenn man es nicht mehr hat: Frieden. Doch diesen gab es auch schon vorher nicht, denn weltweit bestimmen Kriege das Leben so vieler Menschen.
In diesem Buch haben zwanzig Autorinnen und Autoren ihre Gedanken, Hoffnungen und Wünsche für ein friedvolles Miteinander in Kurzgeschichten, Gedichten und Erfahrungsberichten zusammengetragen. Jedoch werden in den Texten keine Luftschlösser gebaut, nicht von einer Welt geträumt, in der niemand mehr streitet, vielmehr wird das Schreckliche vergangener und laufender Konflikte hervorgehoben, um den Wunsch nach Frieden zu untermauern. Stell dir vor, all dies müsste nicht mehr geschehen.
Christian Linker erzählt die Geschichte von M., der vielleicht Mesut, Mohamed, Malik oder Mustafa hieß, und wie Hunderte neben ihm in einem Massengrab lag. „Grabt da, wo die Disteln stehen“, wurde den Soldaten Jahre oder Jahrzehnte später gesagt, denn diese wachsen vermehrt dort, wo viele Tote in der Erde liegen oder viel Erde aufgewühlt wurde. All diese Menschen, die dort unten liegen, hatten eine Familie, ein Leben voller Träume, Angst. Genau wie M.
Es sind aber auch die Geschichten, die von Flucht erzählen, dem Ankommen in einem fremden Land und den Hoffnungen, die damit verbunden sind, aber nicht immer erfüllt werden. So spielen der kleine Saadi aus Homs und Till im Innenhof ihres Wohnhauses, irgendwo in Deutschland, „Friedensland“ und schaffen es, ein spontanes Nachbarschaftsfest entstehen zu lassen. Saadi selbst ist nach kurzer Zeit wieder umgezogen.
In dem Auszug seines 2025 erscheinenden autobiografischen Romans „Mau Mau“ erzählt Lutz van Dijk von den sogenannten „Mau Mau Siedlungen“, wie von 1950 bis etwa in die 70er Jahre hinein Elendsviertel genannt wurden, die in den Außenbezirken vom Kriege zerstörter Städte entstanden sind. Die Menschen dort lebten zwischen Trümmern in heruntergekommenen Baracken und waren häufig Geflüchtete oder verarmte Familien aus dem Arbeitermilieu, die vom Rest der Gesellschaft diskriminiert und abgewertet wurden. Auch Oleg lebte in einer dieser Siedlungen in Berlin-Lankwitz. Jahre später trifft ihn der Protagonist dieser Erzählung als Obdachlosen wieder.
„No war-Sticker ist wieder cool geworden. Aber tun wir auch etwas dafür oder ist es nur noch ein leeres Statement, Mode?“
Außerdem öffnen uns viele der Beiträge die Augen für Kriegsschauplätze, die nicht täglich in den Nachrichten und in Vergessenheit geraten sind. So berichtet Reiner Engelmann von seinem Gespräch mit einem jungen Mann aus Eritrea, den er in Mainz getroffen hat. Seine sehr persönliche und ergreifende Geschichte gibt den jährlich bis zu 40.000 Geflüchteten aus Eritrea ein Gesicht.
An diesen Beispielen wird schon deutlich, dass es sich hier nicht um ein Buch handelt, das man an einem Stück lesen kann oder sollte. Denn in jedem einzelnen Text geht es um Schicksale, die Aufmerksamkeit verdienen. Über viele Geschichten muss man erst einmal nachdenken, sie verarbeiten und wirken lassen. Sie regen die Leserinnen und Leser dazu an, sich selbst ein paar Fragen zu stellen und das eigene Handeln zu reflektieren: Was mache ich konkret für eine friedlichere Welt? Tue ich überhaupt etwas dafür oder bin ich in meiner Alltagsblase gefangen? Denn was für ein schöner Gedanke ist es doch: Stell dir vor, es wäre Frieden…
Fazit
Ein wichtiges Buch zum Thema Krieg und Frieden, das uns einmal mehr ermahnt, hinzuschauen und nicht wegzusehen.
Claudia Freund, Reiner Engelmann, cbt
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