Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir)

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2023
  • 1

übersetzt von Nina Frey; Broschur, 368 Seiten

ISBN: 9783423740920

Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir)
Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir)
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Rita Dell'Agnese
10101

Jugendbuch-Couch Rezension vonMär 2023

Gnadenlos ehrlich

Amelie vermisst ihr altes Leben. Seit Ihr Vater seinen Job verloren hat, steht ihre Welt Kopf. Der Umzug in eine andere Stadt bringt nicht nur eine Menge Einschränkungen mit sich, Amelie muss sich auch von ihren besten Freunden trennen. In der neuen Schule fällt es ihr schwer, Anschluss zu finden. Denn da ist ihre Schüchternheit, die verhindert, dass sie offen auf neue Menschen zugehen kann. Nur wenn sie Musik macht, wächst Amelie über sich hinaus. In einem solchen Moment zieht sie auch die Aufmerksam von Reese auf sich, der ihr auf eine humorvolle und romantische Art den Hof macht. Obwohl ihre neue Freundin Hannah Reese als gedankenlosen und egoistischen Schürzenjäger abstempelt, verliebt sich Amelie in ihn. Was sie zunächst bezaubert, beginnt sie aber immer mehr in die Knie zu zwingen. Denn während ihrer Beziehung zu Reese erlebt Amelie mehr Tiefen als Höhen. Schließlich zieht sie an all die Orte, an denen sie in der Öffentlichkeit weinte, weil sie dem Schmerz nicht mehr standhielt. Und erkennt den wahren Charakter ihrer Beziehung zu Reese.

Feinfühlig erzählt

Jugendbücher über toxische Beziehungen kommen immer wieder auf den Markt und zeigen oft erschreckende Situationen auf, die durchaus realistisch wirken. Auch die Geschichte von Amelie und Reese gehört dazu. Und dennoch sticht Orte, an denen ich geweint habe (wegen Dir) aus der Gruppe dieser Bücher hervor. Denn die Autorin Holly Bourne hat eine Erzählperspektive gewählt, die in diesem Genre eher ungewöhnlich ist – und gerade deshalb von Anfang an in den Bann zieht. Es ist die Protagonistin Amelie, die die Geschichte erzählt – und das auf zwei Zeitebenen. Zum einen beschreibt sie den Platz, den sie auf dem Weg zum Loslassen der Gefühle für Reese aufsucht – zum anderen taucht sie in die jeweilige Szenerie ab, die sie mit diesem besonderen Platz verbindet. Ihre Erzählstruktur gleicht einem Brief, den sie an Reese schreibt: Sie spricht ihn sehr direkt an und enttarnt nach und nach seine destruktive Verhaltensweise. Dennoch wird deutlich, dass es Amelie selbst nach dem Erkennen der Grausamkeit von Reese ihre Gefühle für ihn kaum zu bändigen vermag und stets in Gefahr schwebt, sich erneut von ihm ködern zu lassen.

Gelungene Charakterzeichnung

Obwohl die Leserinnen und Leser von Anfang an wissen, dass es hier um eine toxische Beziehung geht und auch einiges in der Verhaltensweise von Reese darauf schließen lässt, dass er über Amelie vor allem Selbstbestätigung sucht, fällt es tatsächlich zunächst schwer, emotionalen Abstand zu halten. Genau hier zeigt sich die starke Figurenzeichnung der Autorin: Reese vermag es, selbst den «außenstehenden» Leserinnen und Lesern Sand in die Augen zu streuen. Doch dann wird offensichtlich, was ihn umtreibt: Den Neid auf den Erfolg von Amelie und das Bedürfnis, diesen Erfolg möglichst klein zu reden, um sich selber besser zu fühlen. Diese Verhaltensweise wird immer ausgeprägter und ohne dass sich Amelie dagegen zu wehren vermag, beginnt Reese damit, ihre Persönlichkeit zu zerstören. Überzeugend zeigt die Autorin auch auf, wie es Reese nach der von ihm durchgezogenen Trennung immer wieder gelingt, die langsame Vernarbung der seelischen Wunden von Amelie zu zerstören und sie weit zurückzuwerfen.

Es wirkt lange nach

Die Geschichte von Amelie und Reese folgt einem kontinuierlichen Spannungsbogen. Nirgends verliert sie sich in Nebensächlichkeiten, es ist kein Wort überflüssig oder wirkt zurechtgezimmert, um den Verlauf der Geschichte zu unterstützen. Hat man erst mal mit Amelie all diese emotionalen Momente durchgestanden und sieht mit etwas räumlichem und zeitlichem Abstand die perfide Art, mit der Reese sich auf Kosten von Amelie stärkt, wird man die damit einher gehende Beklemmung kaum mehr los. Amelies Geschichte wirkt lange nach und öffnet die Augen, um bei ähnlichen Situationen nicht nur genauer hinzusehen, sondern auch versuchen, Betroffenen zeitig Hilfe zu bieten.

Fazit

Eine durch und durch starke Geschichte über eine toxische Beziehung: Die gewählte Erzählform bindet die Leserinnen und Leser mit ein und macht sie zu einem Teil des Romans.

Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir)

Holly Bourne, dtv

Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir)

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