Unsere Zukunft flirrt am Horizont

Weder Simon noch Lia oder Marcin sind freiwillig als Hilfskraft im Seniorenheim. Sie alle haben Sozialstunden aufgebrummt bekommen. Ihr Vergehen? So unterschiedlich, wie auch die drei Protagonisten selber. Aber was ihnen allen gemein ist: hinter ihrer teilweise harten Schale verbirgt sich ein guter Kern. Während sich die Drei anfänglich kaum ausstehen können, kommen sie sich im Laufe der Zeit näher und es entwickelt sich zwischen Ihnen eine Art Gemeinschaft, die den Grundstein für eine zaghafte, sich immer stärker entwickelnde Freundschaft legt. Allerdings sind Simon, Lia und Marcin in ihrem Innern verletzt und haben Angst, sich den anderen ganz zu öffnen. So beginnt ein Tanz von Erkennen, Vermuten und Gestehen. Und es entstehen tiefere Gefühle zueinander, die aber neue Probleme aufwerfen. Während die drei Jugendlichen versuchen, sich irgendwie zu positionieren, kommen sie auch den Senioren im Heim näher und können mehr und mehr auf ihre eigenen Fähigkeiten vertrauen.

Viel mehr, als vermutet

Um es gleich vorwegzunehmen: mit Unsere Zukunft flirrt am Horizont hält man eine kleine Perle der Jugendliteratur in den Händen. Es ist ein unaufgeregtes Buch, eines, das durch leise Töne und sehr viel Nähe zu den Protagonisten besticht. Obwohl von Anfang an klar ist, dass sich die Jugendlichen für etwas zu verantworten haben, das in ihrem Leben fürchterlich schiefgelaufen ist, wachsen Simon, Lia und Marcin den Leserinnen und Lesern sofort ans Herz. Man erkennt in ihnen den jungen Menschen von nebenan, jemanden, den man aus dem Alltag kennt und den man genau so wahrnimmt, wie er sich in diesem Roman verhält und bewegt. Es ist viel Verletzung dabei, viel Missverständnis, Frustration und eine tiefe Erschöpfung vom Versuch, sich gegen die Realität zu stemmen. Keiner der drei jungen Menschen hat eine tiefe kriminelle Energie in sich und doch sind sie in einem unbedachten Moment irgendwo falsch abgebogen, haben einen verhängnisvollen Entscheid getroffen. Viele Leserinnen und Leser werden sich im Laufe des Romans die Frage stellen, ob sie nicht selber genauso gehandelt hätten. Oder ähnlich. Oder ob es in ihrem Leben nicht genau so Situationen gab, in denen die Weichen hätten falsch gestellt werden können. Insofern zwingt Adriana Popescu ihre Leserinnen und Leser, in den Spiegel zu sehen.

Die Suche nach sich selber

Die drei Hauptfiguren begeben sich im Laufe der Geschichte auf der Suche nach sich selber und ihrer Zukunft. Sie müssen sich familiären Problemen stellen. Simon wünscht, von seinen vielbeschäftigten Eltern wahrgenommen zu werden, Marcin möchte vor dem gewalttätigen Vater am liebsten unsichtbar werden. Lia sieht sich mit bitteren Vorwürfen ihrer jüngeren Schwester konfrontiert und muss zusehen, wie sie sich immer schneller auf einer Abwärtsspirale bewegt. Das alles wird von Adriana Popescu feinfühlig und dennoch eindringlich und Betroffenheit auslösend dargestellt. Erzählt wird die Geschichte der drei durch die Protagonisten selber. Sie schildern in jeweils kurzen Kapiteln als Ich-Erzähler ihre Gegenwart und ihre jüngere Vergangenheit. Durch diese Erzählweise bekommen die Leserinnen und Leser oftmals eine Situation aus verschiedenen Perspektiven geschildert, was zum intensiven Miterleben wird.

Sofort in der Erzählung drin

Dass die Autorin draufsetzt, Ihr Publikum vom ersten Moment an ins Boot zu holen, wird schon in den ersten Zeilen sichtbar. Ein starker, bildgewaltiger Einstieg fesselt und macht neugierig. So wird der Boden auch für leise Töne bereitet. Die Entwicklung der Jugendlichen im Laufe des Romans ist stimmig und glaubwürdig, ebenso die Zweifel und Selbstkritik, mit denen Simon, Lia und Marcin zu kämpfen haben. Im Laufe der Geschichte fühlt man sich den Drei so nahe, dass es schwerfällt, das Buch nach der letzten Seite wegzulegen. Man wünschte sich, dass die Geschichte weitergeht, dass man noch einmal ein paar Stunden mit Simon, Lia und Marcin geschenkt bekommen würde.

Fazit

Unsere Zukunft flirrt am Horizont kommt ohne große Dramen und Überraschungen aus – und ist doch ein Buch, das man kaum aus den Händen legen mag. Der Roman lebt von authentischen, intensiven Momenten und Gefühlen.