Wir holen uns die Nacht zurück

  • dtv
  • Erschienen: August 2022
  • 1

Broschur, 304 Seiten

ISBN: 9783423740821

Wir holen uns die Nacht zurück
Wir holen uns die Nacht zurück
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Sabine Bongenberg
8101

Jugendbuch-Couch Rezension vonFeb 2023

Wenn die besten Freundinnen nicht mehr unter sich sind

Seitdem sich Ilvy und Kaja als kleine Mädchen einmal kurz an der Hand ihrer Mütter begegneten, sind sie beste Freundinnen. Ganz aus den Augen konnten sie sich sowieso nicht verlieren, denn schließlich wuchsen sie im selben Haus auf und ihre von Schlafzimmerfenster-zu-Schlafzimmerfenster-Zeichensprache, die funktioniert bis auf den heutigen Tag! Immer waren sie die Unzertrennlichen, die siamesischen Zwillinge, die doppelten Lottchen – und ja, das waren sie. Denn in letzter Zeit läuft irgendetwas aus dem Ruder. Sie sind nicht mehr die kleinen Mädchen und noch immer verbindet sie ein starkes Band. Aber dennoch: Ilvy versteht einiges an ihrer Freundin nicht mehr. Warum ist Kaja so getrieben, warum so rastlos und vor allem: welche Rolle spielen mittlerweile der Alkohol und die bunten Pillen in ihrem Leben? Ilvy will, dass alles wieder so ist wie früher, dass die beiden wieder eine unbeschwerte, ewige Freundschaft verbindet. Sie setzt alles daran, ihrer Freundin zu helfen und droht sich selbst bei diesen Bemühungen zu verlieren.

„Warum musst du dich andauern um Kaja kümmern?“

Nora Hochs Roman Wir holen uns die Nacht zurück macht einem das Lesen teilweise nicht allzu leicht. Viele von uns kennen es sicher: Da ist die große Freundschaft mit der besten Freundin, eine der wichtigsten Personen in deinem Leben – und plötzlich hakt es irgendwie. Diese Erfahrung muss auch die Ich-Erzählerin Ilvy machen, denn plötzlich wollen sie und Kaja offensichtlich nicht mehr dasselbe. Ihr bisheriges „Doppeltes Lottchen“ will immer weiter Action, will unterwegs sein und vor allem experimentieren, womit sie sich in eine andere Welt schießen kann. Ob sie letzteres allerdings noch will, oder vielmehr schon muss, das steht auf einem anderen Blatt. Ilvy weiß nur eines: Sie will gerade das nicht, aber sie will auch nicht ihre beste Freundin in Stich lassen. Für den Leser ist es hier manchmal schmerzhaft zu lesen, wie weit Ilvy in ihrer Selbstaufgabe geht. Um ihrer Freundschaft willen macht sie so manches, was ihr schon lange nicht mehr gefällt und gibt sich und ihre eigenen Bedürfnisse manchmal viel zu sehr auf. Ein wichtiger Punkt ist ihr bei all' ihren Anstrengungen entgangen: Sie und Kaja sind nicht mehr allein in ihrer Freundschaft – Alkohol und Drogen mischen jetzt mit und verlangen ihren Anteil.

„Als wir dort waren, hatten wir einander längst verloren“

Ilvy weiß über das Abrutschen ihrer Freundin in die Drogenszene so viel wie der Leser und so verstehen wir auch an Kajas Verhalten so einiges und anderes bleibt uns wieder verborgen. Sicher – es gibt zu ihrem Konsum Erklärungsversuche, wie das kalte Elternhaus und der gewalttätige Vater, aber wie, wann und warum sie angefangen hat, sich aus der Realität wegzuschießen, wird nicht erklärt. Zu guter Letzt ist das auch möglicherweise nie erklärbar.

Ilvy und ihre Mutter Paula sind offensichtlich auch bereit, vieles aus Kajas Verhalten zu akzeptieren und das verstand ich manchmal nicht. Wenn deine Freundin beginnt, an ihrer Schule mit Drogen zu dealen – ist das etwas, was man noch so einfach hinnimmt? Wenn sie sich plötzlich an keinerlei Absprache mehr hält und dich überall und unversehens deinem Schicksal überlässt – ist das dann noch ok? Ilvy schluckt vieles und beginnt dennoch zu reifen und natürlich muss es eines schönen Tages so weit sein, dass das Fass überläuft. Allerdings konnte ich das nicht so ganz nachvollziehen. Neben den Dingen, die vorher alle passiert waren, fand ich diesen Höhepunkt schon fast nicht so schlimm und hätte mir da noch ganz andere Sachen vorstellen können. Andererseits – vielleicht war es auch ganz gut, dass die Autorin beide Freundinnen nicht dem richtig miesen Verrat aussetzte und noch Hoffnung bleibt. Ganz zum allerletzten Schluss gefiel mir übrigens auch noch gut, dass der Roman nicht nur Literatur bleibt, sondern auch im Anhang Anlauf- und Hilfsstellen bietet.

Fazit

Nora Hoch lässt zwei beste Freundinnen einen Sommer erleben, der traurig macht und in vielen Dingen nicht schön ist. Dennoch war dieser Sommer so notwendig und in den letzten Entscheidungen wichtig und richtig. Vielleicht hiflt dieses Buch denen, die mit ihren Entscheidungen hadern, zu Stärke zu finden und damit ihren Weg gehen zu können.
 

Wir holen uns die Nacht zurück

Nora Hoch, dtv

Wir holen uns die Nacht zurück

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