Völlig meschugge?!

  • Carlsen
  • Erschienen: Mai 2022
  • 1

Illustrationen von Melanie Garanin; Hardcover, 288 Seiten

ISBN: 9783551796097

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Kathrin Walther
8101

Jugendbuch-Couch Rezension vonSep 2022

Im Sog von Antisemitismus, Mobbing und Gewalt

Bisher waren Benny, Charlie und Hamit die besten Freunde, auch wenn die drei ziemlich unterschiedlich sind. Benny ist nicht nur ziemlich sportlich, sondern weiß auch fast alles; Charlie ist hingegen eher unsportlich und für sie ist es wichtig, sich für die Umwelt einzusetzen; und Hamid kam erst 2015 als Flüchtling aus Syrien und muss unter den ständigen Drängseleien seines älteren Bruders und der obercoolen Schulclique rund um den gemeinen Lennart leiden. Das Leben könnte dennoch angenehm sein, wäre da nicht dieser eine Tag, an dem sich alles ändert. Bennys Opa stirbt und hinterlässt ihm seinen Davidsstern, den er sich sichtbar um den Hals hängt. Zwar sind auch seine Eltern und er Juden, doch wurde der jüdische Glaube in seiner Familie bisher nur im privaten Rahmen ausgeübt, um nicht zur Zielscheibe antisemitischer Anfeindungen zu werden.

Durch das Tragen des Sterns erfährt die Freundschaft der drei einen Bruch, denn für Hamit sind die Juden daran schuld, dass es vielen Arabern schlecht geht, was ihm auch von seinem älteren Bruder immer wieder eingetrichtert wird. Als dann auch noch Charlies Handy geklaut und anschließend in Hamits Spind wiedergefunden wird, geraten die drei in eine Spirale aus Verdächtigungen, Misstrauen und Vorurteilen. Auch die ständigen Konflikte mit ihren Mitschülern rund um die Bande von Lennart nehmen zu und Hamits Bruder, der in mehrere illegale Machenschaften involviert ist, macht ebenfalls Stress. Irgendwann geht es sogar soweit, dass Benny angegriffen und verprügelt wird und anschließend wie vom Erdboden verschluckt ist. Hoffentlich ist ihm nichts Schlimmes passiert…

Die Gefahren von Hass, Neid, Vorurteilen und Misstrauen

Die Graphic Novel Völlig meschugge?! (= jiddisches Lehnwort für völlig verrückt) basiert auf einem Drehbuch zur gleichnamigen Serie von Andreas Steinhöfel, Klaus Döring und Adrian Bickenbach, welches vom ZDF verfilmt wurde. Die Geschichte veranschaulicht eindrucksvoll, wohin Vorurteile, Misstrauen und fehlende Kommunikation sowie Antisemitismus und Mobbing führen können. Erzählt wird die Handlung aus der Retrospektive von Charlie, die als dritte im Bunde zwischen Benny und Hamit steht und eigentlich nur möchte, dass sich die beiden wieder verstehen und ihre Freundschaft wieder wie früher wird. Zwischen ihrer Erzählung gibt es immer wieder kurze Episoden, in denen es nur um Hamit oder Benny geht und gezeigt wird, wie es ihnen parallel ergeht, wenn die drei nicht zusammen unterwegs sind. Auf diese Weise wird die Geschichte besonders vielschichtig und komplex, da mehrere Handlungen gleichzeitig verfolgt werden können. Zudem lässt sich erkennen, wie vielschichtig die Problematik ist und wie jeder kleine Baustein schließlich zur Katastrophe am Ende beiträgt.

Auch wenn Antisemitismus für viele kein alltägliches Thema ist (nicht, weil es kaum stattfindet, sondern eher, weil der jüdische Anteil der Bevölkerung geschichtlich bedingt nicht sehr groß ist), beinhaltet die Graphic Novel mit Mobbing und Gewalt auch Bereiche, die wahrscheinlich jeder schon beobachtet oder vielleicht sogar selbst erfahren hat. Auf diese Weise fällt es auch nicht schwer, sich in die Gefühle der Figuren hineinzuversetzen. Die Geschichte sensibilisiert für den Umgang in der Gesellschaft und macht darauf aufmerksam, wie gefährlich falsche Beschuldigungen und Vorurteile sein können und was Mobbing und Gewalt mit einem Menschen machen können.

Umsetzung

Die gestalterische Umsetzung von Melanie Garanin passt gut zur Geschichte. Es gelingt ihr, die verschiedenen Emotionen der Charaktere zu verdeutlichen, sodass es nicht schwer ist, sich in sie hineinzuversetzen. Dadurch, dass sie anders als in normalen Comics ohne Sprechblasen und Kästen um ihre Bilder arbeitet, fällt es teilweise jedoch etwas schwer, sich auf den Seiten zurechtzufinden. Stellenweise ist es nicht direkt klar, in welcher Reihenfolge die Texte zu lesen sind, sodass erstmal mühsam gesucht werden muss, was zusammenpasst. Gut gelungen sind die Wechsel zwischen den verschiedenen Erzählsträngen, die sie unter anderem durch das Weglassen von Farbe oder einen anderen Zeichenstil verdeutlicht.

Fazit

Eine eindrucksvolle Geschichte, die berührt und erschreckt. Es macht nachdenklich, wie schnell eine Person in einen Strudel aus Gewalt und Mobbing geraten kann und welche Macht Vorurteile, Hass und Antisemitismus haben können. Keine einfachen Themen, bei denen es jedoch umso wichtiger ist, dass auf sie aufmerksam gemacht wird!

Völlig meschugge?!

Andreas Steinhöfel, Carlsen

Völlig meschugge?!

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