Swing High

Hardcover, 224 Seiten

ISBN: 9783836961059

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Sabine Bongenberg
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonFeb 2022

Wer aus der Reihe tanzte, der wurde bestraft!

1940 – Henry und Robert lernen sich im Knast kennen – näherhin in Dunkelhaft in einer eisigen Zelle und wer auf’s Klo muss, der muss den Eimer nehmen. Robert ist Anhänger der Kommunistischen Partei und da die dem Nazi-Regime ein Dorn im Auge ist, hat man ihn verfolgt, gefasst und eingesperrt. Bei Verhören wird er verprügelt und gequält und soll die Namen seiner Parteigenossen nennen. Aber Robert hält noch stand. Das Ganze steht Henry noch bevor. Aber auch ihn haben sie schon verprügelt und misshandelt, um die Namen seiner Freunde zu erfahren. Seinem Freund Fritz haben sie schon fast alle Zähne herausgeschlagen. Aber beide haben dichtgehalten. Ihre Verbrechen? Sie haben getanzt – sie gehören zu einer Gruppe von Hamburger Kids, die sich für den Swing begeistern.

Cornelia Franz setzt in ihrem Roman Swing High mit dem 16jährigen Henry einer besonderen Jugendgruppe ein Denkmal. Es handelt sich um die „Swing Kids“, die sich insbesondere für den Jazz und Swing begeisterten. Sie trafen sich, um Musikstücke wie den „Tiger Rag“ oder den „Lambeth Walk“ zu hören und waren den damaligen Machthabern, den Nationalsozialisten, die von der Fahne sangen, die mehr ist als der Tod, naturgemäß ein Dorn im Auge.

Franz beschreibt eindrücklich und mitreißend, wie die Nazis zunächst als kleines Übel begriffen werden, das zwar lästig ist, aber dennoch nicht so viel ausmacht, bis seine brutale Kraft sich durchsetzt und das Gesicht der so genannten „Herrenmenschen“ seine Boshaftigkeit offenbart. Die Gruppe der Jugendlichen ist daher auch unterschiedlich betroffen: Henry fühlt sich insbesondere in seiner Reisefreude und im Hinblick auf seine Musik beschränkt, die beiden jüdischen Geschwister Hanna und Eduard müssen dagegen wesentlich mehr erleiden: Schon wurden sie von der Schule, die die Gruppe bisher gemeinsam besuchte, verwiesen und auch jetzt wird ihr Leben immer weiter durch Verbote beschränkt. Dennoch: Keiner von den Jungendlichen ist im eigentlichen Sinne politisch aktiv, sie schließen sich keiner Gegenbewegung an, sie verteilen keine Flugblätter – aber sie denken auch gar nicht daran, ihren Lebensstil aufzugeben.

Die deutsche Frau schminkt sich nicht!

Henry und seine Freunde müssen erleben, wie das Leben, das vor den Nazis viele Farben und Bewegungen kannte, immer weiter eingeschränkt wird. Jüdische Freunde und Nachbarn werden gezwungen, aus Deutschland zu fliehen. Dennoch hat keiner aus dem Freundeskreis so richtig die Gründe hinterfragt, auch wenn sicherlich jeder weiß, dass den Juden vieles verboten ist und sich auch die Schraube immer weiter in Richtung Gleichschritt und Terror dreht. Hier ist die Lektüre für diejenigen, die bereits einiges über das Dritte Reich wissen, nicht ganz einfach zu bewältigen. Es fällt schwer zu lesen, dass sich die Jugendlichen mit ihren verbotenen Partys und ihren kreativen Öffentlichkeitsaktionen in große Gefahr bringen.

Franz zeigt hier sehr natürlich, wie ahnungslos einige Deutsche im Hinblick auf die Brutalität des Naziregimes waren. Selbst nach mehreren Jahren seiner Herrschaft glaubten sie, auf ein gewisses Verständnis oder gar Humor der braunen Horde zu stoßen. Das sollte sich als ein schrecklicher Irrtum entpuppen. Henry und seinen Freunden wird auch erst nach Verhaftungen und Misshandlungen klar, auf welche Gegner sie hier treffen. Sie versuchen, Erlebtes herunterzuspielen oder auch nach der Taktik zu verfahren, dass es besser ist, nach manchem nicht zu fragen. So wie man es besser auch mit den ehemaligen jüdischen Nachbarn macht, von denen mittlerweile viele spurlos verschwunden sind.

An den Cafe’s die Schilder „Swingtanzen verboten!“

Mir gefielen an dem Buch besonders die Zeitsprünge gut. Franz lässt ihre Geschichte in einem dunklen Keller beginnen, wo die beiden Hamburger Jungs Henry und Robert im Stockdunkeln eingesperrt sind und verängstigt einem ungewissen Schicksal harren. Konsequenterweise sind diese Kapitel mit weißer Schrift auf schwarzem Grund gedruckt und die bedrückende Stimmung, in der der eine dem anderen das Lied von dem „Seemann, den nichts erschüttern kann“ vorsingt, um ihn in seiner Angst und in seinen Schmerzen zu trösten, ist greifbar und berührend. Schwarz auf weiß wird dagegen erzählt, was sich vor der Dunkelhaft abspielte.

Dieser Strang endet mit der Verhaftung Henrys und dem daraus folgenden Wechsel in die Dunkelheit. Der letzte Zeitsprung führt die Leser in das Jahr 1953 und beschreibt, wer die Schrecken der Nazidiktatur überlebte und wer ihr – möglicherweise namenloses – Opfer wurde. Cornelia Franz berichtet in ihrem Nachwort noch einmal über die Geschichte der Swingkids und grenzt ihren Roman hier noch einmal von der reinen Fiktion ab. Zwar wurden die Helden ihres Buches erfunden, dennoch sind ihre Erlebnisse eng an historische Ereignisse angelehnt.

Fazit

Cornelia Franz erzählt bewegend und realistisch, wie die eine unpolitische Jugendbewegung, die in erster Linie Spaß an ihrer Musik hatte, durch ihren konsequenten Tanz aus der vorgegebenen Reihe die brutale Härte der im Herrenmenschen erfuhr, die selber nichts anderes konnten, als stumpf im Gleichschritt zu marschieren.

Swing High

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