Die Liebesbriefe von Abelard und Lily

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  • Erschienen: März 2021
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Originalausgabe erschienen unter dem Titel The Love Letters of Abelard and Lily; übersetzt von Barbara Lehnerer; Hardcover, 352 Seiten

ISBN: 9783423763165

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Alexandra Fichtler-Laube
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Jugendbuch-Couch Rezension vonMär 2021

Ungewöhnliche und einzigartige Liebesgeschichte mit Tiefgang

Lily ist ein fast normaler Teenager mit einer nervigen Schwester, einer überforderten Mutter und einem davongelaufenen Vater. Die Schule ist für sie eine Qual, da die Lehrer oft verständnislos und die gängige Art des Lernens für sie fast nicht machbar ist.

Aber was ist schon normal? Wer bestimmt die gesellschaftlichen Normen und warum ist in diesen kein Platz für Lily und die Art, wie ihr Gehirn arbeitet? Lily ist spontan und impulsiv. Sie vergisst ständig Dinge und Zerbrechliches zerbricht. Sie leidet unter ADHS und Legasthenie, und die Medikamente, die sie gesellschaftskonform machen sollen, unterbinden ihre Fähigkeit zu fühlen. Auch das Glück.

Als sie wieder einmal ihre Medikamente selbstständig absetzt, zerbricht eine Tür und öffnet ihr Leben für Abelard.

Antike Liebesbriefe

Nachdem Lily und Abelard aus Versehen eine Schultür beschädigt haben, müssen sie zur Direktorin. Dort im Warteraum geschieht es: Lily verliebt sich und drückt dem verdutzten Abelard einen Kuss auf den Mund. Abelard hat, ähnlich wie Lily, Probleme mit sozialer Interaktion: seine Reaktionen und Antworten geschehen zeitversetzt, er mag keine Berührungen und er kann weder mit Spontanität noch mit Gefühlen gut umgehen.

Mit Zitaten aus einem Briefwechsel von unglücklich Verliebten aus dem Mittelalter, die beide aufgrund der Mittelalterobsession ihrer Väter in- und auswendig kennen, beginnen die Jugendlichen sich durch Kurznachrichten kennenzulernen. Doch Lily möchte bald mehr – vor allem mehr küssen, und so beginnen beide sich auch zu treffen. Liebevoll und sehr vorsichtig schaffen es Lily und Abelard, ihre unterschiedlichen Defizite anzugleichen und eine Beziehung zu erschaffen, in der beide sich wohlfühlen.

Doch alles kann nicht gut gehen. Lily hat große Probleme in der Schule. Durch ihre Spontanität und Überforderung löst sie ihre Konflikte durch Wegrennen, was ihren Schulabschluss gefährdet. Lilys Abneigung gegenüber den Nebenwirkungen der Medikamente, die Depressionen auslösen, macht eine Behandlung schwierig, sodass ihre Mutter nach Alternativen sucht. Sie findet eine experimentelle Therapie, die eine Operation am Gehirn benötigt.

Lily ist hin- und hergerissen. Sie sieht die Probleme, die ihre Krankheit in ihrer Familie und in der Schule verursacht, jedoch auch das mangelnde Verständnis ihr gegenüber. Denn mit mehr Geduld und Nachsicht könnte man die Art, wie ihr Gehirn arbeitet, auch akzeptieren. So, wie es Abelard und ihre beste Freundin tun. Lily muss, wie alle Heranwachsenden, entscheiden, wie sie ihr Leben führen möchte. Und diese Entscheidung kann ihr niemand abnehmen.

Eine zarte Liebesgeschichte, voller Humor und facettenreich

Das Buch Die Liebesbriefe von Abelard und Lily schildert ungewöhnliche Protagonisten, deren Denkweisen und Handlungen vielen von uns bis jetzt unverständlich waren. Durch die Geschichte, die aus Lilys Sicht erzählt wird, bekommen die Leser einen einzigartigen Einblick in die Denkstruktur von Menschen, die unter psychischen Beeinträchtigungen leiden. Die Autorin selbst hat ADHS und Legasthenie und schafft es eindrucksvoll, die sprunghaften Gedanken, Zweifel und Nöte zusätzlich zu denen eines doch ganz „normalen“ Teenagers verständlich zu beschreiben. Durch die Beziehung dieser gegensätzlichen Menschen lernt der Leser ein breites Spektrum an Emotionen kennen, etwas das oft mangels Möglichkeit nicht realisierbar ist.

Lilys Art zu erzählen ist dabei in keinster Weise anstrengend, sondern eher komplex, einsichtig und voller Esprit. Die Protagonistin spricht verständlich von ihrer inneren Zerrissenheit, da die Dinge die zu tun richtig sind, oft von ihren reflexartigen Handlungen torpediert werden. Es gibt Menschen, die dies verstehen, und als ihre Besonderheit anerkennen und solche, die sie als Störung und gestört wahrnehmen.

Ihre Schilderungen über ihre Verliebtheit in Abelard sind warmherzig, behutsam und teilweise sehr komisch. Die Gefühle der beiden zueinander wirken teilweise nicht vereinbar, doch ihr Verständnis von Einzigartigkeit und Toleranz, die jede Mühe begreifbar machen und als eine Art Vorbild wirken, regen zum nachhaltigen Hinterfragen der eigenen Vorstellungen an. 

Fazit

Die Liebesbriefe von Abelard und Lily ist eine originelle, sehr romantische und vielschichtige Liebesgeschichte, die ungewöhnliche Einblicke in ungewohnte Denkstrukturen bietet und sehr zu Herzen geht.

Die Liebesbriefe von Abelard und Lily

Laura Creedle, dtv

Die Liebesbriefe von Abelard und Lily

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