Der gemeinsame Kampf
Camillas Vater hat ein neues Glück gefunden: Mit seinen beiden Kindern Camilla und ihrem jüngeren Bruder Lorenzo zieht er in die schicke Wohnung seiner neuen Partnerin Carla. Doch nicht nur Camilla und Lorenzo macht das Arrangement unglücklich, auch Carlas Tochter Anna, die älteste im Bunde, kann sich nicht an die Stiefgeschwister gewöhnen und unternimmt alles, um ihre bevorzugte Stellung bei der Mutter zu zementieren. Für Camilla beginnt damit eine schwierige Zeit: Nicht nur, dass sie in der neuen Wohnung kaum Platz für sich hat, sie muss auch ihre Freundinnen und das regelmäßige Schwimmtraining am anderen Ende der Stadt zurücklassen und sich in einer neuen Klasse zurechtfinden.
Einziger Lichtblick ist da die Tiktokerin Luna alias Lunatica, die zur Überraschung Camillas in ihrer neuen Klasse sitzt. Allerdings ist Luna an der Neuen nicht interessiert. Als bei Camilla die erste Regelblutung einsetzt, versucht sie verzweifelt, mit jemandem darüber zu sprechen. Es bleibt jedoch bei einem Video auf dem Handy – das plötzlich den Weg ins Netz findet und sofort viral geht. Als Camilla deswegen gemobbt wird, schaltet sich Luna ein und stellt sich vor das geschmähte Mädchen – und mit ihr zahlreiche andere Mädchen, die sich mit Camilla solidarisch zeigen und ein Zeichen setzen.
Interessante Entwicklung
Die Situation, in die Autorin Roberta Marasco ihre Protagonistin Camilla stellt, könnte verzwickter nicht sein: Weder mit der uninteressierten Stiefmutter noch mit der abweisenden Stiefschwester, geschweige denn mit dem Vater oder ihrem kleinen Bruder kann Camilla über die Veränderungen ihres Körpers reden. Durch den Sprung von der eher unterklassigen Gegend in eine wohlhabendere Umgebung verliert sie zudem ihr ganzes bisheriges Umfeld, denn dort wird Camilla sofort ausgeschlossen. Die neue Umgebung will mit der Neuen nichts zu tun haben, sie wirkt zu fadenscheinig, um mit der Gesellschaft mithalten zu können. Also eine Ausgangslage, die unerfreulicher kaum sein könnte. Interessant ist jedoch, dass auch die nach außen erfolgreiche Tiktokerin Luna alles andere als ein ideales Umfeld hat. Wohl deshalb ist sie in der Lage, die Not von Camilla zu erkennen, als diese nach dem peinlichen Video ausgegrenzt und ausgelacht wird. Dass Lunatika eine Vorbildfunktion hat und durch ihren Status als erfolgreiche Tiktokerin eine Führungsrolle einnimmt, ist durchaus nachvollziehbar. Damit entsteht also ein stimmiges Setting.
Eine Gratwanderung
Mit der Ausgestaltung der Geschichte macht Roberta Marasco dann jedoch eine Gratwanderung, die nicht in jeder Hinsicht gelungen ist. Die stereotype Situation mit Stiefmutter und Stiefschwester sowie dem Vater, der sich absolut hinter seine neue Partnerin und deren Tochter stellt und die eigenen Kinder nicht mehr wahrnimmt, erinnert an das vielfach bemühte Klischee in den traditionellen Märchen, in denen Stiefmutter und Stiefgeschwister genau dieses Verhalten an den Tag legen. Obwohl in vielen Patchwork-Familien ähnlich gelagerte Probleme auftauchen, wird es hier doch sehr einfach gehalten und es fehlt jede ernstzunehmende Auseinandersetzung mit dem Thema. Gleiches gilt für die Welle der Solidarität, die plötzlich aufbrandet und stark überzeichnet wirkt.
Fazit
Roberta Marasco schneidet ein paar wichtige Themen an: Die erste Regelblutung ist nur eines davon. Dazu kommen Mobbing, Einsamkeit, Probleme mit der Patchwork-Familie und die Frage nach der eigenen Identität. Doch leider schwimmt die Autorin stark an der Oberfläche und verzichtet auf eine tatsächliche Auseinandersetzung mit diesen wichtigen Bereichen. Allerdings wäre das auf den nicht mal 200 Seiten auch eher schwierig geworden. So bleibt dieser Roman zwar ein Denkanstoß, nicht aber richtungsweisend.
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