Leben. Nehmen.

  • Arena
  • Erschienen: September 2020
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übersetzt von Luc Spada; Taschenbuch, 152 Seiten

ISBN: 9783401605708

Leben. Nehmen.
Leben. Nehmen.
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Sabine Bongenberg
6101

Jugendbuch-Couch Rezension vonOkt 2020

Sicher ein wichtiges Thema, aber viel zu sperrig zu lesen

Johnny Chicago hat alles im Blick und so weiß er auch, wie sich der Held der Geschichte, der möglicherweise auch John heißt, fühlt. Warum es in der Schule nicht läuft, mit seiner Mutter schon gar nicht und er das mit Shirley wohl auch vor die Wand fährt. Obwohl – da geht vielleicht doch was. Andererseits ist das auch alles egal, denn Johnny Chicago ist nur eine Erfindung, ist nur der unsichtbare, coole Freund und eigentlich kann ihm alles egal sein, was der richtige John – wenn das denn sein Name ist – anstellt. Aber ganz egal ist ihm das auch nicht, denn es geht immer weiter abwärts: Die Spezialklasse für Loser, die abgezogene Jacke, der ausgepumpte Magen, die Sache mit dem Messer und dann noch die Geschichte mit Nathalie. Das war eigentlich das Schlimmste ­– zumindest in letzter Zeit. Aber Johnny Chicago kennt möglicherweise einen coolen Ausweg…

Tullio Forgiarini präsentiert mit Leben. Nehmen. einen Roman um einen Jugendlichen, der nie erfahren hat, dass sich Menschen ernsthaft um ihn kümmern oder dass seine Eltern in beschützen könnten. Seine Mutter bezeichnet ihn als „Unfall“, der vermutliche Erzeuger wohnt weit weg – und vielleicht ist das auch gar nicht schlecht – und John kennt nichts anderes, als sich auf sich selbst zu verlassen und seine eigene Realität zu bauen und zu leben. Vieles aus seiner Erziehung hat der Fernseher übernommen; das was John über „Zärtlichkeiten“ weiß, kennt er aus Pornos.

Stimmung verfehlt

Grundsätzlich wäre das die Basis für einen düsteren Roman, der möglicherweise dennoch spannend zu lesen wäre. Unglücklicherweise hat sich der Autor aber dazu entschieden, seine Geschichte aus der Sicht des unsichtbaren, coolen Freundes „Johnny Chicago“ zu beschreiben, der natürlich auch alle Gedanken des Helden kennt – aber nach dem Willen des Autors eine eigene Persönlichkeit hat. Das hat zur Folge, dass die gesamte Geschichte in der zweiten Person erzählt wird: „Du sitzt am liebsten hinten im Auto, dann musst du nicht ständig deine Mutter sehen“. Die Sätze sind teilweise abgehackt, Personen werden unvermittelt eingeführt und treten ebenso unvermittelt ab und das macht das ganze Büchlein trotz vieler Schlamassel und Verstrickungen, die für ein hohes Tempo sorgen, sehr sperrig zu lesen.

Manchmal fragte ich mich auch, ob hier nicht allzu sehr auf einen Literaturpreis geschielt und die lesende Klientel damit vollkommen vergessen wurde. Möglicherweise haben damit auch die Autoren des Klappentextes zu kämpfen gehabt, denn auch wenn es zutrifft, dass John und Shirley, wenn sie zusammen sind, nur das Schlechteste aus sich herausholen, ist das kein Buch über einen eigentlichen Schulversager, der in diesem System chancenlos ist. Die Sache ist eigentlich viel schlimmer: Das System hatte nie eine Chance. Dazu kommen mehr oder weniger subtile Hinweise auf eine geistige Erkrankung des Helden und spätestens damit wären sogar in einem „normalen“ Umfeld die meisten überfordert.

Fazit

Tullio Forgiarini hat ein düsteres Werk über einen verzweifelten, vernachlässigten Helden erschaffen, ihm aber unglücklicherweise eine Stimme verliehen, die nur schwer zu verstehen ist. Meine Frage bleibt daher, wen er mit diesem Buch erreichen möchte – für „Freizeitleser“ der angestrebten Altersgruppe dürfte das Werk zu sperrig sein und der Hinweis im Impressum, dass das Material für die Verwendung als Schulbuch herunter geladen werden kann, erfüllt mich mit Zweifel, ob damit die Liebe zum Lesen oder zur Literatur gefördert werden kann.

Leben. Nehmen.

Tullio Forgiarini, Arena

Leben. Nehmen.

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