Sankt Irgendwas

  • Carlsen
  • Erschienen: November 2022
  • 0

Broschur, 128 Seiten

ISBN: 9783551321008

Sankt Irgendwas
Sankt Irgendwas
Wertung wird geladen
Claudia Goldammer
10101

Jugendbuch-Couch Rezension vonApr 2023

Ein Triumph der Gerechtigkeit?

Eine Klasse, ein Lehrer, eine Klassenfahrt. Irgendetwas muss vorgefallen sein auf der Klassenfahrt der 10b, aber bislang wabern nur Gerüchte durch die Schule. Zwei Schüler*innen unterhalten sich auf dem Schulhof darüber, gleichen ihren Kenntnisstand ab, aber alle Informationen sind unkonkret und vage.

Dann Szenenwechsel, rein in die Klasse, erster Tag der Klassenfahrt. Es wird ein Reisetagebuch geschrieben, mehrere Schüler*innen teilen sich rein. Die Hinfahrt ist unspektakulär (lange Fahrt, enge Sitze, muffige Socken) und auch vor Ort hält sich die Begeisterung in Grenzen. Die Tage sind durchgeplant und der Klassenlehrer Dr. Utz lässt keinen Raum für Freude oder gar Spaß zu. Handys wurden vorab einkassiert, stattdessen Referate aufgebrummt. Dr. Utz gängelt und drangsaliert die Klasse, wo er nur kann. Das wird bald auch der weiteren begleitenden Lehrerin zu viel, die sich zunehmend von ihm distanziert.

Trotz brütender Hitze ist kaum Freizeit erlaubt, ein Ausflug ans nahe gelegene Meer undenkbar. In die erschöpfte Stille nach einem weiteren langweiligen Museumsbesuch hinein klingelt ein Handy. Erwartungsgemäß gibt Dr. Utz keine Ruhe, bis er das Telefon gefunden hat, doch eine*n Schuldige*n findet er nicht. Die Klasse hält eisern zusammen. Also bekommen alle Strafarbeit in der Küche aufgebrummt. Doch das Handy ist lebenswichtig, weshalb die Klasse zu drastischen Maßnahmen greift. Als sie dann im Busfahrer überraschend einen Verbündeten finden, nimmt das Schicksal seinen Lauf…und die Gerüchteküche fängt zu köcheln an.

Mitten aus dem Leben erzählt

Das Buch kommt schmal und unscheinbar daher und auch der Titel Sankt Irgendwas bleibt unkonkret und lässt so gut wie keine Schlussfolgerungen zu auf das, was sich zwischen den zwei Buchdeckeln an erzählerischer Kraft verbirgt. Tamara Bach fackelt nicht lange, sondern steigt direkt und spannungssteigernd ins Thema ein und knipst für ihre Leser*innen das Licht direkt inmitten eines Dialogs zweier Schüler*innen an. Worum es in diesem Dialog geht, erschließt sich nicht sofort, aber nach ein paar wenigen Seiten zeichnet sich ein diffuses Bild.

Dann wechselt Tamara Bach sowohl die Perspektive als auch das Kommunikationsmittel und schwenkt direkt in die Klasse, um die es im Dialog ging, hinein. Nun nutzt sie Tagebuchaufzeichnungen als Medium, um die Ereignisse zu erzählen. Mehrere Schüler*innen teilen sich in das Schreiben eines Reisetagebuchs rein. Daher sind die Textbeiträge stilistisch verschieden, ganz unterschiedlich detailliert, sehr nah dran, gleichzeitig aber auch teilweise distanziert und natürlich subjektiv gefärbt. Es gelingt ihr sprachlich einen ansprechenden Ton auf Augenhöhe zu treffen, ohne verkrampfte Anbiederung oder gestelzte Formulierungen.

Spannungssteigerung vom Feinsten

Schnell wird klar, dass sich die Klasse mit ihrem Klassenlehrer überhaupt nicht versteht. Die Klasse wäre mit einer friedlichen Ko-Existenz zufrieden, aber Dr. Utz zieht ohne Gnade sein Programm und seine Regeln durch. Bei Missachtung drohen gar noch Strafen. Er mag dafür seine Gründe haben, dennoch erscheint sein Verhalten maßlos und ungerecht. Tamara Bach gelingt es scheinbar leicht und mühelos, die Schwingungen und Stimmungen überzeugend einzufangen und eine packende, authentische Atmosphäre zu kreieren, die jede*r absolut nachvollziehen kann, auch ohne etwas Ähnliches selbst erlebt zu haben. Die Stimmung ist durch die sommerliche Hitze und die Unerbittlichkeit des Lehrers so aufgeladen, dass der befreiende Knall fast herbeigesehnt wird. Bevor er kommt, zieht Tamara Bach noch ein weiteres Kommunikationsmittel hinzu und integriert eine offizielle Mail das Klassenlehrers an die Eltern in den Handlungsfluss, noch bevor die Eskalationsstufe erreicht wurde. Spätestens dann ist klar, dass der Dialog zu Beginn des Buches nicht nur auf Hirngespinsten beruht…

Die gewählten Erzählmittel und deren gekonnte Montage garantieren einen kurzweiligen Lesespaß auch für eher lesefaule Menschen. Eindrücklich und überzeugend sind dabei die sprachlichen Unterschiede je nach gewählter Kommunikationsform herausgearbeitet, wodurch die Erzählung eine weitere Auflockerung erfährt. Es gibt kaum wirklich lange Textpassagen und durch die kunstvoll inszenierte Spannungskurve fällt es schwer, das Buch vor dem Ende aus der Hand zu legen. Am Ende muss jede*r für sich entscheiden, was er*sie von der Entscheidung der Klasse hält. Fest steht nur: so unterschiedlich wie die Kinder der Klasse sein mögen, in diesem Fall stehen sie unerschütterlich zusammen. Tamara Bach jedenfalls entzieht sich einer Bewertung, denn so vielschichtig wie die handelnden Personen sind, wahrscheinlich, auch die Sichtweisen auf das Geschehene.  

Fazit

Beeindruckend leicht erzählt Tamara Bach überaus gekonnt und sehr spannend eine kurze Geschichte über Zusammenhalt und Gerechtigkeit.

Sankt Irgendwas

Tamara Bach, Carlsen

Sankt Irgendwas

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Sankt Irgendwas«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

LGBT
in der Jugendliteratur

Alljährlich wird im Juni der Pride Month gefeiert, um die Vielfalt unserer Gesellschaft hervorzuheben. Weltweit erheben Schwule, Lesben, Transgender, Bisexuelle und Menschen anderer sexueller Orientierungen ihre Stimme für Toleranz und stärken so die Gemeinschaft. LGBTQ+ ist schon lange kein Randthema mehr in der Jugendliteratur, sondern ein zentraler Aspekt zahlreicher Neuerscheinungen.

mehr erfahren