Ich sehe was, was du nicht siehst

  • ONE
  • Erschienen: April 2020
  • 1

Originalausgabe erschienen unter dem Titel Shock; aus dem Niederländischen von Verena Kiefer; Hardcover, 240 Seiten

ISBN: 9783846600979

Ich sehe was, was du nicht siehst
Ich sehe was, was du nicht siehst
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Kirsten Kohlbrei
7101

Jugendbuch-Couch Rezension vonJul 2020

Best friends - never, ever

Die sechzehnjährige Emma Timmers verschwindet am Abend der Weihnachtsfeier ihrer Schule in Amsterdam spurlos und bleibt trotz intensiver Suche der Polizei unauffindbar. Ihre noch in der Tatnacht sichergestellte blutige Jacke sowie ihr Fahrrad und ihr Handy, die einige Wochen später in einem Naturschutzgebiet entdeckt werden, lassen die Ermittler jedoch von einem schweren Verbrechen ausgehen.

„Sie ist weg.“ - Eine Freundin geht verloren.

Im Sommer wird Emma immer noch vermisst. Ihre Freundinnen haben sich dennoch entschieden, in den gemeinsam geplanten Campingurlaub nach Frankreich zu fahren.

Emma fehlt Lilly, Anouk, Bo und Mabel jedoch noch zu sehr, als dass Spaß an der Reise aufkommen mag. Die „Go Camping-Stimmung“ wirkt aufgesetzt und die ganz normale Urlaubsatmosphäre mit Sonne, Pool und Club nahezu respektlos. Die Erinnerungen an Emma kommen immer wieder hoch. Jede der Freundinnen geht auf ihre Art mit dem Verlust um und nur in seltenen Momenten spüren die Vier noch die alte Vertrautheit untereinander. Vereint sind sie dann nicht nur in der Trauer, sondern auch in der Scham, denn alle haben das Gefühl, Emma im Stich gelassen zu haben, als diese sich nach dem tödlichen Autounfall ihrer Eltern so verändert hatte.

Albtraum statt Traumurlaub

Lilly belasten die Erinnerungen psychisch am stärksten. Sie wünscht sich sehnlichst nach Hause und nimmt Beruhigungstabletten. Anouk macht sich noch aus einem anderen Grund Sorgen um Lilly: Ihre Mutter arbeitet als bekannte Wahrsagerin und bisher war immer alles Fake, wenn Anouk versuchte sie nachzuahmen. Nun spürt sie plötzlich bei Lilly eine Aura der Kälte und des Unheils und bemerkt im Dunklen Schemen und Schritte. Auch die anderen fühlen sich merkwürdig beobachtet. Während die Gruppe im nahen Wald in ein Unwetter gerät, zieht sich Lilly auf der Flucht vor einem vermeintlichen Verfolger in Panik eine Gehirnerschütterung zu.

Die Verunsicherung der Mädchen wächst erst recht, als sie bei Geisterbeschwörung und Gläserrücken Kontakt mit dem Jenseits aufnehmen wollen und aus dem vermeintlichen Spiel scheinbar bitterer Ernst wird.  Aber damit immer noch nicht genug, denn plötzlich tauchen Dinge auf, die Emma gehört haben und die sie am Tag ihres Verschwindens getragen hat. Dadurch wird die Bedrohung greifbar und real. Die Freundinnen sind so verängstigt, dass sie nicht nur beschließen vorzeitig abzureisen, sondern auch die französische Polizei über die Vorkommnisse zu informieren. Doch in der Nacht bevor die Schicksalsgemeinschaft abgeholt werden soll, verschwindet Lilly aus dem Zelt und wie ein halbes Jahr zuvor, machen sich die übrigen Freundinnen verzweifelt auf die Suche...    

Ausgefeilte Charaktere, beklemmende Atmosphäre, hohes Spannungslevel

Die Niederländerin Mel Wallis de Vries ist als Autorin spannender Psychothriller im Jugendbuchbereich mittlerweile auch in Deutschland bestens bekannt.

Im nunmehr sechsten Band ihrer in lockerer Reihe erscheinenden Romane – die ansprechende Covergestaltung verspricht einen hohen Wiedererkennungseffekt – bleibt sie sich in Setting und Stil treu und macht dabei zunächst eine Menge richtig: Wieder stehen mit der verschwundenen Emma und ihren Freundinnen Teenager um die 16 im Fokus. Aus ihrer Sicht wird die Geschichte abwechselnd erzählt, wobei der Leser durch von Emma beschriebene Passagen mehr über ihr Verschwinden erfährt, als den Figuren der Handlung bekannt ist.

Typisch für de Vries ist auch das Einfügen von Zeitungsmeldungen als Informationsquelle zum Tatgeschehen.

Durch die Reflexionen der Geschehnisse seitens der Mädchen gewinnen zum einen ihre Charaktere an Kontur und man lernt ihre individuellen Probleme kennen, zum anderen wird ihre Verschiedenheit offensichtlich. Und es wird deutlich, dass sie Geheimnisse voreinander haben und sich in Bezug auf Emmas Verschwinden Dinge verschweigen.

„Wir legen alle fünf unsere Hände aufeinander. 'Best friends forever.'  Ein Versprechen, so lose wie der Sand.“

All das wirft einen ernüchternden Blick auf ihre Verbundenheit. Das Verschwinden von Emma hat sie zwar unverbrüchlich zusammengeschweißt, aber im Grunde ist der Zerfall ihrer Freundschaft längst im Gange und es kommt in der angespannten Situation immer häufiger zu Streitereien. Die Zeit der BFF ist längst vorbei. Diese wechselhafte Stimmung fängt die Autorin sehr schön ein. So wie es ihr auch durchgängig gut gelingt, die den Situationen entsprechende Atmosphäre spürbar zu machen und die Spannung auf hohem Niveau zu halten.

Leider bringt sie ihre Geschichte aber nicht gänzlich überzeugend bis zum Schluss ins Ziel. Die Aufschlüsslung ist unerwartet. De Vries lockt im Vorfeld ihre Leser nicht nur auf falsche Fährten, sondern suggeriert insgesamt doch zu sehr eine andere Lösungsvariante, als das dieser Überraschungseffekt echt wirkt. Das Ende ist verstörend und traurig, jedoch nicht für alle Mädchen gleichermaßen. Manche Entwicklungen lassen für einige Gutes hoffen und geben ihnen und auch ihrer Freundschaft Aussicht auf eine positive Zukunft.

Fazit

Mit der bedrohlichen Stimmung, dem emotionalen Background und dem spannenden Plot erfüllt Ich sehe was, was du nicht siehst zielgenau alle Erwartungen an einen guten Psychothriller.  Auch wenn der Feinschliff manchmal fehlt, liefert die Erzählung über die Urlaubsfahrt, die zum Höllentrip wird, für Freunde des Genres genau die richtige Untermalung.

Ich sehe was, was du nicht siehst

Mel Wallis de Vries, ONE

Ich sehe was, was du nicht siehst

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