Du wolltest es doch

  • Carlsen
  • Erschienen: Januar 2018
  • 2
  • Carlsen, 2015, Titel: 'Asking for it', Originalausgabe
Du wolltest es doch
Du wolltest es doch
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Julian Hübecker
5101

Jugendbuch-Couch Rezension vonNov 2018

Das ist doch voll oberflächlich, sagte ich, weil es das ist, was man antworten muss, wenn man gesagt bekommt, dass man schön ist.

Emma weiß aufzufallen. Sie ist nicht nur hübsch und hat eine ganz besondere Ausstrahlung, sie kann sich auch gut präsentieren und die Jungs ihrer Schule um den Finger wickeln. Doch dass dies auch nach hinten losgehen kann, merkt sie, als sie nach einer wilden Party vor dem elterlichen Haus erwacht halbnackt, ramponiert und wund. Von nun an sieht sie sich mit Vorwürfen aus allen Richtungen konfrontiert bis ihr Selbstwertgefühl am Boden ist.

Ein gesellschaftliches Tabuthema zieht in ein vornehmes Viertel ein

Eine Nacht reicht aus, um nicht nur ein Leben, sondern auch das des engsten Umfelds zu zerstören. Wie ein schwelender Brand greift diese Zerstörung um sich, infiziert Freunde, Klassenkameraden und Bekannte und die Frage der Schuld hängt wie eine Last auf den Schultern, jederzeit bereit, den Menschen zu erdrücken. Wie kann es passieren, dass das eigentliche Opfer darum kämpfen muss, nicht als Täter hingestellt zu werden?

Emma hätte wohl nie gedacht, dass diese Frage ihr Leben bestimmen würde. Denn eigentlich könnte es nicht schöner sein: Sie wird von allen geliebt und beneidet, denn sie ist eine Naturschönheit, hat Freundinnen und liebende Eltern, ist sogar erfolgreich in der Schule. Doch die Aufmerksamkeit reicht ihr noch nicht. Und so toll, wie es auf dem ersten Blick scheint, ist ihre Welt dann doch nicht denn die sogenannten Freundschaften sind vergiftet von Neid und Falschheit, in der Schule sind andere besser als sie, und vor allem ihre Mutter stellt Erwartungen an Emma, die sie nicht erfüllen kann.

Daher testet Emma noch weiter ihre Grenzen aus, törnt immer noch ein Stückchen mehr die männlichen Schulkameraden mit ihren Verlockungen an. Dies treibt sie auf die Spitze, als sie auf der Party am fraglichen Abend gleich mehrere Typen anflirtet. Dank Drogen und Alkohol wird es immer lockerer, vermengen sich Rausch und Reize zu einer explosiven Mischung; es kommt zu dem einen Schritt, wo es kein Zurück mehr gibt. Emma wird von gleich mehreren Jungs missbraucht und dabei sogar gefilmt.

Am nächsten Tag wird das Filmmaterial online gestellt und öffentlich gemacht. Von nun an wird sie zu einem weltweiten Gesprächsthema, gibt Anstoß für Debatten und Diskussionen um die Frage der Schuld. Viele sehen in ihr nun die Täterin, die die fraglichen Typen ans offene Messer liefert und ihre Zukunft versaut. Schließlich geht es vor allem um die Frage: Wann ist ein Opfer ein Opfer, wenn es durch sein Verhalten gewisse Reaktionen provoziert?

Ein Buch, das Aufklärung zum Thema Vergewaltigung von der falschen Seite angeht

Seit dem MeToo-Skandal ist die Debatte kontrovers geworden, wie sich Frauen vor sexuellen Übergriffen schützen sollen. Dabei geht es nicht nur darum, dass Männer ihre Machtposition oder Körperkraft ausnutzen, um Frauen zu unterwerfen. Es geht vor allem auch darum, inwieweit Frauen ihren Sexappeal nutzen, um Männer gefügig zu machen. Ändert sich dadurch die Frage der Schuld, wenn der Mann auf diese Einladung dann nur reagiert? Mit genau dieser Frage setzt sich Louise O'Neill in dem Buch auseinander und schafft ein Szenario, in dem das Opfer zur Täterin stilisiert wird, weil ihr offenherziges Verhalten den Vergewaltigern ein klares Zeichen zum Missbrauch vermittelt.

In dem Fall hat die Autorin wahres Können bewiesen, da sie im ersten Drittel ein wahrhaft unsympathisches Bild von der Protagonistin zeichnet. Dadurch hat sie dem Leser gekonnt ein negatives Bild von Emma vermittelt, sodass es wirkt, als hätte sie das, was ihr in jener Nacht passiert, gar nicht anders verdient hat. Diese vorgesetzte Meinung gewinnt ihren Höhepunkt als Emma gegenüber einer Freundin, die selbst von einem Schulkameraden missbraucht wurde, behauptet, dass dies nur halb so wild sei und eine öffentliche Beschuldigung alles nur noch schlimmer machen würde. Spätestens da werden vielen Lesern die Sicherungen durchgebrannt sein.

Dieser Höhepunkt hätte einen hervorragenden Hänger für den zweiten Teil des Buches bieten können. Denn als Emma dann schließlich nach ihrer tragischen Nacht in ein Loch fällt und keine Kraft mehr für die alltäglichen Dinge findet, weder Familie noch Freunde in ihr Leben lässt und sich regelrecht aufgibt, scheint O'Neill vergessen zu haben, wen dieses Buch erreichen soll Jugendliche, die noch in der Selbstfindung sind und diese durch ähnliche Anerkennung, wie Emma sie sucht, zu kompensieren versuchen. Stattdessen vermittelt sie den Lesern, dass es in Emmas Situation nicht möglich ist, an sich zu arbeiten, dass es nicht wert ist, zu kämpfen, wenn man Opfer sexuellen Übergriffs wird. Dass der Kampf richtig ist, um jene zu bestrafen, die ihr das angetan haben diese Lehre sucht man in dem Buch vergeblich. Männer wie Weinstein können seit jeher widerliche Dinge tun, weil sie ihre Macht und Überlegenheit ausnutzen und ihre Opfer einschüchtern, die dann das Gefühl haben, dass ein Kampf nicht lohnt. Dieser bittere Beigeschmack bleibt nach Beenden des Buches.

Fazit:

Stilistisch ist der erste Teil des Buches, in dem punktgenau das Bild eines Mädchens geschaffen wird, das später mit seinem Opferbild zu kämpfen hat, gekonnt aufgebaut. Ein gewisser Bildungsauftrag geht ab da jedoch verloren, es bleibt nur noch triviale Unterhaltung.

Du wolltest es doch

Louise O'Neill, Carlsen

Du wolltest es doch

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