Der Erste Weltkrieg

  • Gerstenberg, 2014, Originalausgabe
Der Erste Weltkrieg
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Jugendbuch-Couch Rezension vonJun 2014

Geschichtsbuch, gut gemacht, anschaulich und umfassend

Ja, ein bisschen wie ein Schulbuch ist dieses Buch schon, allein optisch. Alles ruhig, ordentlich, gut sortiert: eine Spalte Text, drumherum farbig unterlegte Themenkästen, dazu Fotos, Zeichnungen, Schaubilder. Die großformatigen Bilder zu jedem Kapitelauftakt sind eindrücklich und stimmungsvoll. Und - als hätte man im Verlag gedacht, zu viel schwarz-weiß könne man einem Teenager von heute nicht zumuten - oft nachcoloriert. Jede Seite hat außerdem nicht nur Fotos, sondern auch je eine Zeichnung, oft nur ein nachgezeichnetes Fotomotiv, aber eben bunt. Das sieht ein bisschen hübsch nach Kinderbuch aus und ist ein bisschen peinlich beim Anschauen. Na, egal.

Der Text ist in typisch seriösem Schulbuchstil geschrieben, gut verständlich, ohne stilistische oder inhaltliche Finessen. Der Inhalt ist das Ziel.

Aber, großes, großes Plus: hier ist alles drin. Wer sich durcharbeitet, was durchaus leicht fällt, dem erzählt Hermann Vinke ausführlich und schön der Reihe nach die Vorgeschichte – wie es damals politisch in Europa aussah, wie die jeweiligen Regierungen das Attentat auf den österreichischen Thronfolger als Vorwand nahmen, sich endlich mal wieder gegenseitig den Krieg zu erklären und ein bisschen an Grenzen, Macht und Ansehen zu verbessern; die damalige Weltanschauung, in der Jungs von klein auf mit Kanonen, Schwertern, Pistolen nicht nur spielen durften, sondern mussten; den zeitlichen und auch räumlichen Verlauf des Krieges, wie aus dem schnellen Angriff das jahrelange gegenseitige Töten ohne Vor oder Zurück in den Schützengräben wird; die Westfront in Frankreich, die Ostfront, den Nahen Osten und alle Orte, weswegen der Krieg eben Weltkrieg genannt wurde; auch die sogenannte Heimatfront, an der die Frauen die Männerarbeit übernahmen und in den Waffenfabriken Sonderschichten schoben, wo es außer Steckrüben kaum etwas zu essen gab, unter anderem, weil die Männer "im Feld" waren – statt auf den Feldern bei der Ernte; Krieg in der Luft, Krieg auf dem Wasser und unter Wasser mit den ersten U-Booten; die rasante technische Entwicklung: Maschinengewehre, Giftgas, weitreichende Artillerie, mit denen sich man sich gegenseitig in unvorstellbaren Mengen umbringen und zu Klump schießen konnte; das Ende natürlich auch: die Verträge von Versailles, die Revolution in Deutschland und die Folgen für gesamt Europa. Dazu wie gesagt viele Fotos, Illustrationen, Karten, Schaubildern und Grafiken – und im Anhang Zeittafel, Glossar, Buch-, Film- und Webtipps.

Viel Stoff, viele Themen, viel Text

An manchen Stellen hätte es aber ruhig noch ein bisschen mehr sein können. Begriffe wie "Urkatastrophe", "Weihnachtsfrieden", "Dolchstoßlegende" oder "Dicke Berta" verwenden viele, die sich mit dem Ersten Weltkrieg auskennen, ohne es zu merken. Und ohne darüber nachzudenken, dass es für alle, die zum ersten Mal etwas über den Ersten Weltkrieg hören, fremde Vokabeln sind, die man ohne Erklärung zwar irgendwie mitnimmt, aber nicht wirklich aufnimmt.

Oder die "Kriegszitterer". Viele Soldaten sind damals durch den Lärm, die Enge, das Grauen, das nicht Wegkönnen in den Schützengräben schier verrückt geworden; in speziellen Lazaretten wurden sie mehr eingesperrt als behandelt, galten sie doch als Simulanten und Drückeberger. Aha. Wäre es nicht interessant, zu erfahren, dass das noch immer vorkommt, zum Beispiel bei Afghanistan-Rückkehrern? Dass es heute Posttraumatische Belastungsstörung heißt, als psychische Krankheit gilt und dass die kranken Soldaten heute auf ärztliche Hilfe zählen können. Wenn auch noch nicht immer auf Verständnis von Verwandten, Freunden und Bekannten. Durchgelesene Fakten würden so zu echtem Wissen werden und auch Bezüge zu uns heute herstellen.

Denn der Erste Weltkrieg, auch wenn er lange her ist, ist mehr als irgendein Krieg, über den man ein Referat halten muss. Er betrifft jeden von uns; auch heute noch. Und sei es nur, weil der eigene Uropa nicht erschossen wurde, sondern überlebt hat. Und Kinder bekommen konnte, deine Großeltern und die dann deine Eltern und die dann dich. Ja, das wäre interessant. Aber, klar, nichts was ein Sachbuch über ein historisches Ereignis unbedingt bieten muss.

Fazit

Solides Sachbuch, das ausführlich, verständlich, nüchtern und mit vielen Bildern über den Ersten Weltkrieg informiert. Zum Durchlesen, Querblättern, Nachschlagen und genau richtig, wenn in der Schule das Thema behandelt würde oder ein Referat ansteht.

Der Erste Weltkrieg

Hermann Vinke, Gerstenberg

Der Erste Weltkrieg

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