Über-Nerds suchen die Antwort auf die letzte Frage
Andrew Kane ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als er unter Alkoholeinfluss fuhr. Seine jüngere Schwester Nora wird seitdem in der Schule abschätzig behandelt. Die Eltern halten die Fassade eines glücklichen Ehepaars aufrecht. Nora sieht die Chance für einen Neuanfang in ihrer Zulassung zur Chapman Preparatory School. Sie trifft dort auf Chris Moore, der auf der Schule eine Klasse über ihr war und Andrew kannte. Zuerst befürchtet sie, er würde sein Wissen über die Familie gegen sie verwenden. Aber er versteht Noras Verhalten und die Tatsache, dass sie ihren Bruder verschweigt.
Für Professor Hoffpauer übersetzen Chris und sein Mitbewohner Max Lewis alte Dokumente, darunter das Buch aus Blut und Schatten, während Nora mit der Übersetzung scheinbar unbedeutender Briefe von Elizabeth Weston betraut wird. Chris und seine Freundin Adriane Ames, Max und Nora werden Freunde.
Bald schon zeigt sich, dass die Briefe vielleicht den Schlüssel zu alchemistischen Formeln enthalten, die für das Verständnis des Buches wichtig sind. Als der Professor einen Schlaganfall erleidet und die Dokumente verschwinden, gesteht Nora Chris, dass sie einen sehr persönlichen Brief Elizabeths gestohlen hat. Chris will ihn zurückgeben und wird kurze Zeit später tot aufgefunden. Offenbar gibt es Menschen, die bereit sind, für die Dokumente und ein in ihnen verborgenes Geheimnis zu töten. Nora, Adriane, Max und Eli, der Cousin von Chris, versuchen das Geheimnis zu ergründen.
Eine Heldin, jünger und fähiger als Dan Browns Robert Langdon
Das Buch aus Blut und Schatten ist ein Mystery-Thriller, der in den USA als eine Jugendbuchversion von Dan BrownsSakrileg gehandelt wird. Er beginnt mit einer Thrillerszene, in der wir erfahren, dass Chris tot ist und warum Nora blutverschmiert ist. Nora erzählt uns von ihrer Familie, der Chapman Prep, wie sie Chris kennen lernte und von dem Buch und den Briefen erfuhr, die im Zentrum des Geheimnisses stehen.
Noras Leben wird durch ihren toten Bruder bestimmt. Chris ist der Mensch, der sich am intensivsten bemüht, sie zu verstehen, in den sie sich nicht nur deshalb verliebt. Als Chris mit Adriane ausgeht, fühlt sich Nora überflüssig. Sie kann ihrer Freundin Adriane aber nicht böse sein, weil die sich auch um sie bemüht, möchte, dass sie glücklich wird, weshalb sie Nora mit Max zu verkuppeln sucht. Nora findet Max zwar eigenartig, verliebt sich aber während der Übersetzungsarbeiten in ihn. Ein Problemfeld öffnet sich hier, weil Max ein Mörder sein könnte.
Zwischen Nora und der Frau, deren Briefe sie übersetzt, gibt es einige Parallelen, die das Mystery-Element des Romans verstärken sollen. Eine Schwäche des Romans ist sein etwas behäbiges Tempo, das nicht zum Thrillermoment passt.
Nach ungefähr der Hälfte des Romans wird die bis dahin gut strukturierte Geschichte zu einem überbordenden Cocktail. Die Leser bekommen es mit einer Vielzahl an Passagen in Fremdsprachen zu tun – lateinisch, italienisch, tschechisch, französisch, hebräisch, englisch (im Original vermutlich irgendeine andere Sprache) und altgriechisch, das kein altgriechisch ist, sondern ein Code. Steganogramme und ihre Entschlüsselung kommen hinzu. Zum Glück kann immer irgendwer aus der Gruppe eine der Sprachen fließend und kennt sich auch mit Steganografie aus.
Irgendwie hängt alles mit allem zusammen. Rabbi Löw und der Golem, die Nazis und der Holocaust, Alchemie aus dem Mittelalter, Prager Architekturgeschichte, der dreißigjährige Krieg, Astronomie, Katholizismus und weiteres mehr. Und: irgendwer aus der Gruppe kennt sich immer aus. Manche Leser mögen dies unheimlich spannend oder erhellend finden und als Mehrwert der Lektüre begreifen. Andere Leser mögen zu dem Schluss kommen, dass unser heute kaum mehr erreichtes und erreichbares Bildungsideal nur den Bodensatz dessen beschreibt, an dessen Spitze Wassermans Hauptfiguren stehen.
Der Roman stellt gelegentlich Herausforderungen an die Intelligenz der Leser. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Mönch Nora auf die Toilette begleitet und Eli mit einer Erstausgabe von Johannes Kepler allein zurücklässt. Kann man grundsätzlich noch akzeptieren, dass es für den Roman unbedeutend ist, wenn Schüler während einer Klassenfahrt nach Paris sich zu einem Abenteuer nach Prag absetzen, ist kaum nachzuvollziehen, warum Jahrhunderte alte Manuskripte von wissenschaftlicher Bedeutung darauf warten müssen, von einer Schülerin entschlüsselt zu werden, dies zudem mit kaum erwähnenswertem Aufwand. Die Leichtigkeit, mit der Nora dies gelingt, ist eine der Kröten des Romans. Dass wichtige Geheimdokumente Jahrhunderte in Prag auf Nora warten, ist ein weiterer seltsamer Befund. Es handelt sich um einen Jugendroman, gut. Aber muss man davon ausgehen, dass Jugendliche über ausreichend Naivität oder oberflächliche Akzeptanz verfügen, all diese Kröten zu schlucken? Jugendliche, denen man hyperintelligente und entsprechend gebildete Protagonisten präsentiert.
Fazit
Leser und Leserinnen, die Bücher über den Verlust geliebter Menschen, ein Mysterium, eine Geheimgesellschaft und eine Verschwörung, Alchemie und Religion mögen, ist Das Buch aus Blut und Schatten eine trotz mancher Mängel empfehlenswerte Lektüre, die eine gut ausgearbeitete und in die Tiefe gehende Geschichte erzählt.
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