Gutes Thema, aber die Umsetzung überzeugt nicht
Was kann der Einzelne tun, um das Elend der hungernden Kinder in Afrika zu bekämpfen? Der 13-jährige Ich-Erzähler in 33 Cent um ein Leben zu retten hat die Antwort bereit: Er versteht sich als modernen Robin Hood, nimmt von den Reichen und schickt das ergaunerte Geld nach Afrika. Das namenlose Bürschchen stellt sich dabei recht clever an: er klaut in Boutiquen und Kaufhäusern Klamotten und verkauft sie an einen Hehler weiter. Er, der Sohn eines Richters und aufgezogen mit großem Respekt vor dem Rechtsempfinden aber auch vor Zivilcourage, hat dabei kein schlechtes Gewissen. Schließlich tut er es ja für die Armen. Doch der "Held" möchte mehr tun: Er klaut einen Kühllastwagen und fährt zusammen mit seiner gleichaltrigen Freundin Anne quer durch Europa Richtung Afrika.
Das Thema des Romans ist bestechend: Ein mutiger Junge begehrt gegen die Ignoranz der Erwachsenen auf und geht über Grenzen, um zu helfen. Dem Kind – denn ein solches ist der Ich-Erzähler durchaus noch – wird es von den Erwachsenen leicht gemacht, seine Ideen umzusetzen. Als er beschließt, nur noch jeden zweiten Tag zur Schule zu gehen, um an den anderen Tagen einen Job bei Coop anzunehmen, zeigen ihm weder seine Eltern noch die Schule ernsthaft Grenzen auf. Zwar wird er zum Schulpsychiater geschickt, doch weiter passiert nichts. Der Richter – der Erzähler verzichtet schnell mal auf die Bezeichnung Vater – und seine Frau, die Lehrerin, lassen den Jungen gewähren. Spätestens jetzt drängt sich dem Leser die Frage auf, in welcher Welt der Ich-Erzähler lebt. Er scheint sich in einer absolut antiautoritären Umgebung zu bewegen, in der einzig die selbstbestimmte Entwicklung des Kindes den Wertmaßstab bestimmt. Eine Erziehungswelt, die jedoch zur heutigen Zeit längst nicht mehr richtig passen will.
Fragen wirft allerdings vor allem auch die Persönlichkeitsstruktur des Ich-Erzählers auf. Als 13-Jähriger müsste der Junge wesentlich reifer denken und handeln, als er es tut. Sein Verhalten passt zu dem eines 10-Jährigen. Hier fragt sich, wie weit sich der Autor tatsächlich in die Gedankenwelt eines Jugendlichen hinein versetzen konnte. Es scheint, als habe er beim Alter versucht, einen Kompromiss zu machen. Denn die Geschichte funktioniert nur, wenn der Junge in der Lage ist, einen Kühllaster zu fahren. Offensichtlich traut Autor Louis Jensen dies einem 13-Jährigen zu. Also lässt er seinen Helden einen Kühllaster klauen –nachdem der Junge von seinem Freund ein paar wenige Einweisungen in das Fahren eines solchen Lastwagens erhalten hat – und sich auf den Weg quer durch Europa machen. Natürlich müssen die Leser bei einem Roman bereit sein, beide Augen zuzudrücken, wenn es um den Vergleich Geschichte-Realität geht. Hier wird dies aber äußerst strapaziert. Denn der 13-Jährige passiert mühelos sämtliche Grenzen und Kontrollen – immer in Begleitung seiner gleichaltrigen Freundin. Selbst im Schengen-Europa eine Schilderung, die sich sehr weit aus dem Fenster lehnt. Die Erklärungen, die Louis Jensen für diese ungestörte Fahrt auf Lager hat, wirken etwas lahm.
Der im Roman eingebettete Aufruf zur Zivilcourage und dazu, notfalls auch ein Gesetz zu übertreten, wenn es Leben retten kann, ist ein Appell, der eine gute Grundlage für einen spannenden Roman bildet. Die Umsetzung lässt die Jugendlichen aber alleine. Dem Zielpublikum von 12 bis 15 Jahren einen Roman vorzusetzen, in dem bewusster Diebstahl und das Verkaufen des Diebesgutes an einen Hehler quasi legitimiert wird durch die Robin Hood-Geschichte, dürfte einigen Erwachsenen sauer aufstoßen. Dem erwachsenen Leser ist klar, dass es sich hier nicht um eine Helden-Geschichte sondern eher um eine Parabel handelt, dem Jugendlichen, der dieses Buch liest, dürfte das nicht in der notwendigen Dimension klar werden. Und genau hier liegt das Problem: Wie wird die Botschaft des Autors vom Leser verstanden… Einmal abgesehen von der mühsam kindlichen Sprache – die Art der Erzählung würde ebenfalls eher zu einem 10-Jährigen als zu einem 13-Jährigen passen – und den oft zusammenhanglos zerstückelten Klein-Kapiteln wirft der Roman sehr viele Fragen auf. Der Zusatz im Klappentext: "Ein mutiges und radikales Experiment, das zum Nachdenken herausfordert: über Recht und Gerechtigkeit, Moral und Zivilcourage" wird nicht überzeugend umgesetzt. Zwar fordert das Buch tatsächlich zum Nachdenken heraus, aber eher darüber, ob es tatsächlich das wiedergibt, was man sich von einer solchen Geschichte erwarten würde.
FAZIT
Der Autor Louis Jensen hat ein wichtiges Thema aufgegriffen, die Umsetzung vermag aber letztlich nicht zu überzeugen. Erwachsene tun gut daran, sich mit dem Buch auseinanderzusetzen, bevor sie es Jugendlichen als Lesestoff empfehlen.
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