Nur eine Liste

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  • Erschienen: Januar 2012
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Der 2013 im Fischer Verlag erschienende dritte Roman Wie ein unsichtbares Band von Inès Garland ist der erste, der ins deutsche übersetzt wird und das in meinen Augen absolut zurecht. Aufbauend auf dem Argentinien der späten Siebziger Jahre, zu Zeiten der Militärdiktatur, erzählt die Autorin die beispielhafte Geschichte zweier Familien, vor allem aber von deren gleichaltrigen Kindern, Alma, Carmen und Marito.

Während Alma unter der Woche in Buenos Aires wohnt und dort zur Schule geht und nur am Wochenende auf einer Insel im Dschungel lebt, leben ihre Nachbarn Carmen und Marito ständig dort. Zwischen den Kindern entwickelt sich mit der Zeit eine enge Freundschaft, die über den sozialen Unterschieden der beiden Familien steht und diese überwindet. Die Kinder nehmen diesen Unterschied gar nicht wahr, Alma bewundert Carmen und Marito ob ihrer Fertigkeiten und verbringt viel Zeit mit ihnen und ihren Geschwistern und ihrer Oma, bei der sie leben. Während sich Almas Eltern in der gehobenen Schicht von Buenos Aires zuhause fühlen, fühlt sich Alma mehr den ärmeren Landbewohnern, ihren einzigen wahren Freunden zugehörig. Doch je älter die Kinder werden, desto schwieriger wird es, die soziale Kluft zu überwinden und so findet sich Alma zwischen zwei Welten wieder und zu keiner der beiden fühlt sie sich zugehörig. Dass sie sich dann auch noch in Marito verliebt und zwischen den beiden eine zarte und verletzliche Liebe entsteht, macht das Ganze nicht einfacher. Auf Verständnis von ihren Eltern hofft Alma auch vergebens, sie leben in Buenos Aires und nehmen die Welt außerhalb dieser Blase, die sie im Dschungel jedes Wochenende sehen könnten, nicht wahr.

Der Ton des gesamten Romans ist poetisch, etwas schwebend und passt damit hervorragend zur Umschlaggestaltung wie zu der Geschichte. Er lässt sich mit der landläufigen Vorstellung von Südamerika ebenso vereinigen wie mit der vermittelten Stimmung auf den Inseln, wo ein Großteil des Lebens auf dem Fluss stattfindet. Mit sehr eindrucksvollen Bildern und extrem aussagekräftigen Details (so werden die Brüder von Marito dafür bezahlt, das Haus von Almas Eltern in Stand zu halten), die mit einer Leichtigkeit erzählt werden, die gut zur Perspektive der unschuldigen Kinder passt, vermittelt das Buch starke Emotionen. Die Liebesgeschichte zwischen Alma und Marito gehört zu den einfühlsamsten und wundervollsten, die ich seit langem gelesen habe, denn die durch soziale Zwänge entstehenden Schwierigkeiten und auch das einzigartige Gefühl, verliebt zu sein; all das wird hervorragend erzählt in einer Art und Weise, die das Herz berührt.

Eine klare Empfehlung für alle Altersklassen, die Symbolkraft dieses Romans für Fragen der sozialen Gleichheit ist nicht zu unterschätzen. Außerdem wird vor allem gegen Ende des Romans die Problematik, die mit der aufkommenden Militärdiktatur einhergeht, sehr anschaulich und authentisch deutlich. Denn am Ende ist nichts, wie es am Anfang war.

FAZIT

Ein bewegendes Buch über zwei unterschiedliche Familien, das die Liebe und Toleranz genauso hochhält wie es die Schonungslosigkeit der Militärdiktatur zeigt. Ein malerisches, verträumtes und gerade deswegen herausragendes Buch.

Nur eine Liste
Nur eine Liste
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Rita Dell'Agnese
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonApr 2013

Ein grausames Spiel

Für acht Mädchen ist an diesem Montag alles anders. Die Schülerinnen der Mount Washington Highschool stehen auf der berüchtigten Liste, die einmal pro Jahr in der Schule von Unbekannten ausgehängt wird. Vier von den acht Mädchen sind zu den Hübschesten ihres Jahrgangs erklärt worden, vier zu den Hässlichsten. Seit ihre Namen auf der Liste aufgetaucht sind, verändert sich für alle acht Betroffenen ihr Alltag. Nicht alle sind glücklich darüber, plötzlich im Rampenlicht zu stehen, selbst dann nicht, wenn sie als Hübscheste ihres Jahrgangs deklariert wurden. Denn die Nomination verändert unwillkürlich das Verhalten der anderen Schülerinnen und Schüler. Damit verschiebt sich aber auch das Wissen darum, wer ihnen tatsächlich zugetan ist und wer sich nur in ihrem Windschatten bewegen möchte. Die Schulleiterin, Mrs. Colby, versucht, dem Spuk ein Ende zu bereiten und die Urheber der Liste ausfindig zu machen. Sie ahnt, welche Folgen die Mädchen durch dieses für alle Beteiligten grausames Spiel zu tragen haben. Doch niemand scheint zu wissen, wer hinter der Liste steckt.

Auf den ersten Blick werden die Leser von "Nur eine Liste" einen konventionellen Highschool-Roman erwarten. Die Zutaten sind klar: Hübsche und weniger hübsche Mädchen einer Highschool müssen sich in der Masse der Schülerinnen und Schüler behaupten. Doch der Roman von Siobhan Vivian ist bedeutend vielschichtiger. Die Autorin vermeidet die bekannten Klischees. Sie stattet die Mädchen mit höchst unterschiedlichen Charakteren aus – und dabei ist es keineswegs so, dass die Hübschen durchwegs fiese Persönlichkeiten sind und die als hässlich abgestempelten Mädchen sich durch eine hilflose Opferrolle auszeichnen und im Grunde ihres Herzens liebenswert und sanft wären. Jedes Mädchen trägt ihre eigene Geschichte mit sich und diese wirkt sich konkret auf den jeweiligen Umgang mit der plötzlich prominenten Stellung aus. Dadurch, dass Siobhan Vivian sich von den Klischees weg bewegt, verlangt sie von ihren Leserinnen ein intensives Nachdenken über den Umgang miteinander. Sie lässt ihre Leserinnen einen Blick auf das Gruppenverhalten der Schüler werfen und stellt den Trend in Frage, dem die Jugendlichen folgen.

Um den Hintergrund der Mädchen darstellen zu können, wählt Siobhan Vivian einen ungewöhnlichen Weg. Sie beleuchtet jeden Tag der Woche einzeln: vom Montag, an dem die Liste ausgehängt wird bis zum Samstag, an dem der große Homecoming-Ball stattfinden soll, der Höhepunkt des Jahres an der Mount Washington Highschool. Das tut sie jeweils aus der Sicht jedes einzelnen Mädchens, deren Name auf der Liste auftaucht. So haben die Leserinnen die Möglichkeit, mitzuerleben, welchen Prozess die Betroffene durchlebt und wie sie mit der Situation umzugehen versucht. Zunächst ist diese Form der Erzählung gewöhnungsbedürftig. Innerhalb kurzer Zeit müssen sich die Leserinnen auf acht Charaktere einstellen, die in ihrem jeweiligen Umfeld dargestellt wird. Anhand der optisch übersichtlich gestalteten Liste im ersten Kapitel ist es jedoch möglich, sich zurechtzufinden und zu verstehen, um welches Mädchen es sich handelt – oder notfalls nochmals kurz zurückzublättern. Spätestens ab dem zweiten Tag ist klar, um wen es sich handelt und welche Geschichte sie mitbringt. Bis zum Ende des Romans sind die acht Mädchen und ihr Umfeld den Leserinnen so vertraut, als wären sie schon seit langer Zeit befreundet. Hier beweist die Autorin sehr viel Geschick im Aufbau ihrer Geschichte.

FAZIT

Nur eine Liste ist ein außergewöhnlicher und starker Roman, der zum Nachdenken anregt. Die Autorin Siobhan Vivian nimmt ein grausames Spiel als Grundlage für eine großartig konzipierte Geschichte, die nicht nur die vom Verlag vorgesehene Zielgruppe von 14 bis 17-jährigen, sondern durchaus auch ein erwachsenes Publikum anzusprechen vermag.

Nur eine Liste

Siobhan Vivian, -

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