Lagunenrauner

  • -
  • Erschienen: Januar 2013
  • 0

1793 – Der Kontinent, allen voran Frankreich, wird von einer wilden, ungezügelten Bestie beherrscht – Gewalt wohin man sieht. Die Französische Revolution mit ihren Schlagworten von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit ist dabei ihre Kinder zu fressen. Das scharfe Messer der Guillotine trennt nicht nur die Häupter derer, die auf Kosten der Armen in Saus und Braus lebten, sondern es werden auch alte Rechnungen beglichen. Rechtsanwälte schwingen sich zu despotischen Herrschern auf; Macht korrumpiert, totale Macht führt selbst die integersten Menschen in Versuchung.

Der junge Arian Pratt, ein begnadeter Zirkusdarsteller der nicht nur auf dem Hochseil glänzt, sondern auch mit seiner Holzpuppe und seinem Bauchrednertalent das Publikum in seinen Bann zieht, ist mit seiner Schaustellertruppe nach London geflüchtet. Zwar herrscht inzwischen Krieg zwischen Frankreich und England, doch die Unterhaltung kennt keine Grenzen. So könnte Arian eigentlich zufrieden sein, bis das Unerklärliche in sein Leben Einzug hält. Ein mysteriöser Mann begegnet ihm, ein Mann, dessen Berührung dazu führt, dass er sich urplötzlich im Körper des Fremden wiederfindet und sich selbst ansieht. Was ist hier passiert, was will der Fremde von ihm und wie bekommt er seinen eigenen Körper zurück? Die Auflösung dieser Fragen führt Arian, begleitet von einer vorlauten und hinreißenden jungen Dame, quer durch das krisengeschüttelte Europa und tief in die eigene Vergangenheit.

Unbemerkt leben seit Jahrtausenden Menschen unter uns, die ihre Seele mitsamt allen Erinnerungen in andere Körper transferieren können. Auf diese Weise gelingt es ihnen nicht nur, dem Tot ein Schnippchen zu schlagen, sondern auch Reichtümer und Wissen anzuhäufen, um sich als graue Eminenzen im Hintergrund der Reiche zu etablieren.

Hinter den Exzessen der französischen Revolution stecken die von M angeführten Swapper ebenso, wie sie den gewaltsamen Tod von Arians Eltern zu verantworten haben. Als sich dann herausstellt, dass der Anführer der Seelendiebe Arians Verwandter ist, dass seine Eltern von ihrem eigenen Vater gejagt wurden, weil sie sich gegen das Schreckensregime der Körpertauscher stellten, muss Arian sich entscheiden – ob er vermeintlich ewig auf Kosten anderer armer Seelen leben will, oder das Böse bekämpft …

Ralf Isaus Romane waren und sind immer etwas anders als die gängigen Fantasy-Titel anderer Autoren. Nicht nur, dass er sich immer ganz eigene, oftmals nicht eben einfache Themen und Handlungsorte aussucht, er versucht seine Leser auch immer zum Nachdenken, zum kritischen Hinterfragen zu verführen. Das ist vorliegend nicht anders. Minutiös recherchiert, erwartet den Leser nicht nur ein sehr realistisches, teilweise schockierend brutal und gewalttätiges Bild der Zeit der französischen Revolution, sondern auch immer wieder moralische Fragen und Zweifel, mit denen er sich auseinandersetzen und beschäftigen muss.

Was würden wir tun, wenn wir einfach durch eine kurze Berührung in einen anderen Körper schlupfen könnten – in einen jungen, kräftigen, ansehnlichen Körper eines Menschen mit Vermögen, mit Einfluss, mit Gaben, die wir ohne jegliche eigene Mühe übernehmen und uns aneignen könnten? Würden wir der Versuchung widerstehen können, würde die Moral und Ethik triumphieren, oder doch eher der Egoismus? Fragen, die der Autor sich, seinen Figuren und dem Leser ganz bewusst stellt.

Eingebettet in eine ebenso temporeiche wie spannende Handlung gibt es immer wieder Situationen, in denen Isau seinen Figuren vor Wahlmöglichkeiten stellt – wird man etwa einen Mörder, der gerade noch versucht hat den Helden umzubringen, hilflos eingeklemmt in einem brennenden Haus zurücklassen, oder ihm zumindest eine Chance auf Rettung zugestehen, so dass er sich vielleicht wieder auf die Jagd nach den Protagonisten machen kann – Fragen, die nicht eben typisch für Fantasy Bücher sind, dafür aber umso mehr für Romane aus der Feder Ralf Isaus. Das Beste daran aber ist, dass diese Tiefe, diese Verlockung, sich spielerisch auf solche Gewissensentscheidungen einzulassen, die packend aufgezogene Handlung in keinster Weise stört.

FAZIT

Die Idee des Körpertauschs, der Unterwanderung der Gesellschaft durch wie auch immer geartete Parasiten ist keine wirklich neue Idee – die Umsetzung aber schon. Vor dem großen Bild Europas im 18. Jahrhundert erzählt uns der Autor von ergreifenden Schicksalen, von Mut und Hoffnung, aber auch von Verlust, Trauer und Angst – all diese Dinge, die zum Leben gehören, die jedem Menschen im Verlauf seines Daseins begegnen und mit denen er sich, verpackt in einem mitreißenden Roman, hier kurzweilig beschäftigen kann.

Lagunenrauner
Lagunenrauner
Wertung wird geladen
Carsten Kuhr
7101

Jugendbuch-Couch Rezension vonApr 2013

Fantastisch schönes Venedig

Venedig, die Lagunenstadt befindet sich Anfang des 15 Jahrhunderts auf der Höhe ihrer Macht. Der Doge und der Rat der Zehn regieren die Metropole mit eiserner, aber leidlich gerechter Hand, die Glasbläser und Handelshäuser mehren den Reichtum der Stadt. Doch dann sucht ein bis dato undenkbares Unheil die Stadt heim. Das Meer zieht sich aus den Kanälen und Prielen zurück, ein seltsamer, ungesunder Nebel legt sich über die Palazzos und Brücken, Neid, Missgunst und der Schwarze Tod gehen um. Männer verschwinden, Entführungen sind an der Tagesordnung, alles entwickelt sich zum Schlechteren für die hungernde Bevölkerung.

Marco wird in Kürze 16. Ein Alter, in dem man eine Lehre beginnen sollte, in der die Schritte für die Zukunft festgelegt werden. Nach dem Tod seiner Schwester, die ihm in ein verlassenes Anwesen gefolgt war und dort ertrank, und dem spurlosen Verschwinden seines Vaters ist der Junge jedoch noch nicht bereit, sein Leben wirklich in die Hand zu nehmen. Zwar versucht sein Onkel, bei dem er Aufnahme gefunden hat, ihn als Schreiber unterzubringen; allein Marco will seine obsessive Suche nach dem Vater nicht aufgeben. Als das Unheil die Stadt heimsucht ahnt er nicht, dass er allein die Macht besitzt, das Böse aufzuhalten und seine Heimat zu retten.

Seit dem Tod seiner Schwester weist er seine besondere Beziehung zum Meer von sich. Das Meer spricht zu ihm und auch dessen Bewohner, die legendären Fischmenschen der Lubriche, wollen mit ihm Kontakt aufnehmen. Während seine Heimat um ihn herum in Chaos versinkt, Schätze gesucht, Menschen geschunden und Fremde, wie ein gewisser da Vinci ihre Forschungen vorantreiben, muss Marco sich entscheiden: Er muss sich entscheiden, ob er bereit ist für seine Heimat und die Menschen, die er liebt, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen …

Es gibt eine Legion von Venedig Romanen, und auch phantastisch angehauchte Werke, die ihre Verfasser in der Lagunenstadt ansiedeln, sind nicht eben rar gesät. Insoweit muss ein Autor sich, will er seinen Plot in der Stadt der Gondeln spielen lassen, etwas einfallen lassen. Gunnar Kunz hat sich ganz bewusst dafür entscheiden uns ein Venedig der Vergangenheit zu präsentieren, das vom historischen Bild ein wenig abweicht. Zum Einen hat er die recht komplizierte politisch-gesellschaftliche Herrschaftsstruktur ein wenig vereinfacht, zum Anderen das Stadtbild selbst ein wenig der heutigen Zeit angepasst. Beides sind zulässige Freiheiten, die auf die Handlung selbst keine Auswirkung haben.

Stilistisch auf hohem Niveau, bewegt der Roman sich phantastisch auf seltenen Pfaden. Ein Mensch der das Meer hören kann, der phantastische Geschöpfe der feuchten Tiefen rufen kann, das hat man kaum einmal, wenn überhaupt gelesen. Geschickt schafft Gunnar Kunz durch den zweifachen Verlust, den sein Protagonist erleiden muss, innere Konflikte, die der Leser sehr gut nachvollziehen kann. Dazu gesellt sich die Suche nach der eigenen Zukunft, eine erste Liebe und eine Welt, die rings um ihn herum zusammenzubrechen scheint.

Not und Elend prägen auch Marcos Handeln. Seit dem Tod der Schwester plagt ihn das schlechte Gewissen und sein Gefühlsleben pendelt zwischen Verleugnung, Zögern und Zweifeln. Dennoch ist Marco eine Figur, in die man als Leser gerne hineinschlüpft. Gerade weil man ihn verstehen kann, seine Beweggründe klar nachvollziehbar aufgezeigt werden, versteht man ihn und seine Handlungen sehr gut. Dazu hat sich der Autor dann noch einige Gimmicks einfallen lassen: Der geniale Erfinder da Vinci, das Marco-Polo-Haus mit seinen unermesslichen Schätzen, korrupte, verräterische Adelige – das ist zwar gewohntes Beiwerk, aber in dieser Zusammenstellung und Beschreibung doch eigen und faszinierend.

FAZIT

Gunnar Kunz hat mit Lagunenrauner Venedig seine Referenz erwiesen. In einem packenden Jugendbuch, das sich an Leser ab 14 Jahre richtet, verzaubert er nicht nur mit der Kulisse sondern auch mit den dosiert eingesetzten, so noch nicht gelesenen phantastischen Fähigkeiten.

Lagunenrauner

Gunnar Kunz, -

Lagunenrauner

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Lagunenrauner«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

LGBT
in der Jugendliteratur

Alljährlich wird im Juni der Pride Month gefeiert, um die Vielfalt unserer Gesellschaft hervorzuheben. Weltweit erheben Schwule, Lesben, Transgender, Bisexuelle und Menschen anderer sexueller Orientierungen ihre Stimme für Toleranz und stärken so die Gemeinschaft. LGBTQ+ ist schon lange kein Randthema mehr in der Jugendliteratur, sondern ein zentraler Aspekt zahlreicher Neuerscheinungen.

mehr erfahren