Amerika liegt im Osten

  • Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2012, Originalausgabe
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Yvonne Schulze
8101

Jugendbuch-Couch Rezension vonJul 2012

Gegenwart trifft Vergangenheit

Das meint Jugendbuch-Couch.de: "Gegenwart trifft Vergangenheit"

Die siebzehnjährige Marie, genannt Motte, ist schwer verliebt und das ausgerechnet in den coolen Lukas, den alle nur Laser nennen. Die Tatsache, dass sein Vater gefragter Stuntman in Hollywood ist, gibt Lukas natürlich eine ganz besondere Aura. Lukas ist der Schwarm aller Mädchen, alle reißen sich um seine Aufmerksamkeit und er hat ständig seinen Fan-Club um sich. Und doch ist Lukas alles andere als der Strahlemann mit der weißen Weste. Nachdem er auf einer Schulparty den tschechischen Mitschüler Pavel provoziert und grundlos zusammengeschlagen hat, beschuldigt er anschließend Pavel, mit der Schlägerei angefangen zu haben und leider sind auch die Lehrer nur allzu schnell bereit, eher Lukas Glauben zu schenken als Pavel. Obwohl alle Anwesenden gesehen haben, dass Lukas der Schuldige ist, hat keiner den Mut, die Sache richtig zu stellen und  für Pavel Partei zu ergreifen, als dieser einen Schulverweis bekommt. Was zählt gegen den smarten Lukas schon der Tscheche Pavel, den alle "den Polen" nennen und der Deutsch mit Akzent spricht, dessen Mutter als Putzfrau arbeitet und der keine Markenklamotten trägt?

Und Motte? Die hat durch einen dummen Zufall die Szene mit ihrem Handy gefilmt und weiß genau, wer hier wen provoziert und angegriffen hat. Doch statt die Sache richtig zu stellen, hält sie den Mund und redet sich die Situation lieber schön. Sie kann doch ihren heimlichen Schwarm nicht einfach bloßstellen, auch wenn der sie eigentlich gar nicht beachtet. Motte ist zu Beginn des Romans alles andere als eine sympathische Figur. Für ihre 17 Jahre ist sie noch reichlich naiv, ein unscheinbares Mädchen mit mangelndem Urteilsvermögen, völlig verblendet von ihrer schwärmerischen Liebe zu Lukas. Und als sich Lukas dann plötzlich für sie zu interessieren beginnt, wähnt sich Motte endlich am Ziel ihrer Wünsche. Dass hinter Lukas´ plötzlichem Interesse an ihr jedoch etwas ganz anderes steckt, will sie in ihrer Verliebtheit nicht wahrhaben.

Als Lukas ihr erzählt, dass er die Osterferien bei seinem Vater in Los Angeles verbringen wird, beschließt Motte, ihm nach Amerika nachzureisen, wo sie sich in ihren Träumen schon gemeinsam mit Lukas am Strand von Kalifornien sieht. Doch woher das Geld für den Flug nehmen? Ihre Mutter kann es ihr nicht geben, bleiben also nur noch die Urgroßeltern. Nur leider hat Motte zu diesen kein gutes Verhältnis und möchte mit ihnen auch so wenig wie möglich zu tun haben.

Und doch ist der Urgroßvater bereit, Motte das Geld für die Reise zu geben. Er stellt aber eine Bedingung - und zwar eine ziemlich ungewöhnliche. Motte soll ihre Urgroßeltern nach Tschechien fahren, die alte Heimat ihrer Großmutter, aus der diese Ende des 2. Weltkriegs vertrieben wurde.  Zähneknirschend willigt Motte ein, denn sie würde alles tun, damit sie zu Lukas nach Amerika kann. Die Fahrt mit ihren Urgroßeltern verläuft dann allerdings ganz anders als gedacht, denn Mottes Urgroßmutter leidet an Demenz. Es ist eine abenteuerliche Reise in die Vergangenheit der Urgroßeltern und für Motte wird es auch eine Reise zu sich selbst, an deren Ende sie so manches aus einem ganz anderen Blickwinkel sieht. Das Eintauchen in die Vergangenheit ihrer Urgroßeltern bringt die drei einander näher und so sieht nicht nur Motte ihre Urgroßeltern, sondern auch der Urgroßvater seine Urenkelin nach und nach in einem ganz anderen Licht. Generationenprobleme kennt jeder von uns, aber hier wird gezeigt, dass man sie überwinden kann, indem man Verständnis füreinander aufbringt.  

Ist Motte zu Beginn des Buches noch ein unreifer verträumter Teenager, wird sie im Laufe der
Geschichte erwachsen und erobert sich die Sympathien des Lesers. Sie bringt nicht nur den Mut auf, ihr bisheriges Verhalten in Frage zu stellen und das Richtige zu tun, sie erkennt auch Lukas als den Aufschneider und Feigling, der er in Wirklichkeit ist.

Es sind unglaublich viele Themen, die Heike Eva Schmidt in ihrem Roman anschneidet: Mobbing, Zivilcourage, Demenz, Generationenkonflikte, Kriegsverbrechen, die Vertreibung der Deutschen während des 2. Weltkriegs. Es gelingt ihr aber, diese komplexen Themen geschickt miteinander zu verknüpfen und sie für junge Leser nachvollziehbar zu verarbeiten.

FAZIT

Der Roman von Heike Eva Schmidt ist ein spannendes Roadmovie mit einer Protagonistin, die einem erst nach und nach sympathisch wird. Motte ist eine Figur, die sich im Laufe der Geschichte weiterentwickelt und als Mensch reift. Die Themen in diesem Buch geben Anreiz, sich selbst einmal mit diesen auseinanderzusetzen und eigene Verhaltensmuster zu überdenken.

Amerika liegt im Osten

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