Benjamin Scholz

02.2020 Julian Hübecker im Gespräch mit Benjamin Scholz - Autor von "Jungsfragen".

"Egal, wie du bist und was an dir ist, es ist okay."

Jugendbuch-Couch: Hallo Ben, fangen wir an der Basis an: Du bist ja gelernter Grafikdesigner. Wie wird man da Sexualaufklärer für Jugendliche? Der Weg ist nicht unbedingt offensichtlich…

Benjamin Scholz: Ein damaliger Kumpel musste für sein Studium einen Workshop zum Thema sexuell übertragbare Infektionen halten. Wollte aber keiner hin. Da sind wir als Freundeskreis eingesprungen, damit da wenigstens ein paar Leute drinsitzen. Das war dann so hochspannend, dass ich direkt dabeigeblieben bin. Später habe ich die Truppe um die Jugendprävention kennengelernt, und da war der Drops gelutscht. Vor allem habe ich einen guten Draht zu Jugendlichen, und auch überhaupt keine Probleme, über diese Thematik zu sprechen – so kam eins zum anderen.

Jugendbuch-Couch: Das heißt aber auch, dass deine Arbeit aus eigenen Erfahrungen, was Sexualität und Pubertät angeht, heraus geboren wurde? Oder musstest du dich noch weiterbilden?

Benjamin Scholz Beides. Am Ende von jedem Video [Anmerk. d. Red.: und auch vom Buch] steht so ungefähr: „Ben ist kein Arzt und so weiter“. Das basiert alles entweder auf persönlichen Erfahrungen, Recherchen, die ich unternehme, und Schulungen, die man natürlich bekommt; denn du kannst nicht einfach so auf Schüler losgelassen werden. Familiär habe ich auch einen medizinischen Hintergrund und – das hört sich jetzt total doof an – ich sauge dieses Thema auf wie ein Schwamm. Aber ich würde mich auf gar keinen Fall mit jemand Professionellem vergleichen! Das sag ich in den Videos ja auch häufig: „Kann ich dir nicht beantworten, geh zum Arzt!“

Jugendbuch-Couch: Du hast mal erwähnt, dass dein Youtube-Kanal aus wiederholten Fragen heraus entstanden ist, und du gemerkt hast, dass die Fragen wirklich immer in die gleiche Richtung gehen. Gibt es überhaupt noch Fragen, die dich überraschen?

Benjamin Scholz: Naja, „überraschen“ ist vielleicht das falsche Wort. Durch meine Arbeit in dem Bereich, habe ich ja echt schon „alles“ gehört oder gar gesehen. Daher überrascht da nicht mehr viel. Aber es gibt unbesprochene Themen, wie z.B. das heutige Video [Anmerk. d. Red.: 15.02.2020]: „Krampfadern am Hodensack“. Das war tatsächlich noch nie Thema. Der Vorschlag kam über einen YouTube-Kommentar: „Mach mal was zu Krampfadern am Sack…“.

"Manche Eltern kennen das Phänomen auch, wenn irgendwann die Freunde zum Übernachten kommen und man geht am nächsten Tag in dieses Zimmer. Das ist schlimmer als Leichengeruch."

Jugendbuch-Couch: Das heißt also, du hast schon noch Inhalte, die du präsentieren kannst. Oder merkst du: Die Jungsfragen müssen sich verändern?

Benjamin Scholz: Eigentlich ist dieses Thema unerschöpflich, dadurch, dass immer wieder neue Leute dazukommen. Da kann man auch einfach die Themen, die schon häufig angesprochen wurden, nochmal bringen.

Jugendbuch-Couch: Was ich mich schnell gefragt habe: Warum eigentlich „Jungsfragen“? Warum keine Mädels?

Benjamin Scholz: Das kam auch alles so ein bisschen aus der Schularbeit. In der Regel wird immer nach Geschlechtern getrennt unterrichtet. Ist auch besser, weil du Mädchen und Jungs anders greifen musst: Mädchen kommen von der emotionalen Seite und Jungs mehr von der körperlichen, d.h. bei den Jungs kannst du sofort loslegen mit z.B. Thema „wichsen“. Dann sind die angeknipst, dann sind die da. Bei den Mädels machst du erst „Beziehung, Schwangerschaft…“ – also erst emotionale Themen. Das meine ich auch überhaupt nicht wertend, sondern nur, dass du die Themen anders bedienen musst. Und da ich halt immer bei den Jungs war, habe ich mich darauf „spezialisiert“. Ich unterrichte auch gemischtgeschlechtlich, aber dann merkst du halt wirklich: Wenn die Mädchen mit einer emotionalen Frage ankommen, lachen sich die Jungs kaputt, und die Mädchen denken sich über die Fragen der Jungs: was sind das für Primaten?

Jugendbuch-Couch: Werden Jungs auch familiär anders aufgeklärt?

Benjamin Scholz: Denke schon. Bei Mädels gibt es dieses eine Thema: Menstruationsblutung. Und daraufhin setzen sich – hoffentlich – viele Mütter mit ihnen zusammen und sagen: „Pass auf, bald kommt monatlich Blut aus der Scheide“. Und dann kommt fast automatisch diese Aufklärungsrunde. Bei den Jungs passiert das seltener.

Samenerguss erklärt man nicht, das passiert halt einfach und man geht irgendwie davon aus, dass Jungs wissen, was dann Phase ist. Und diese Mangelaufklärung bekomme ich dann mit: ihnen fehlen die absoluten Basics.   

Jugendbuch-Couch: Warst du selbst denn ein schwieriger Jugendlicher?

Benjamin Scholz: Ich glaube tatsächlich nicht. Klar, in einem Pubertätsanfall plumpsen einem auch unschöne Sachen aus dem Gesicht, die man eigentlich nicht hatte sagen wollen. Aber ansonsten war ich wohl recht einfach von der Handhabung, heißt es. Was ich mir aber gewünscht hätte, und das habe ich auch neulich schon bei einem anderen Interview gesagt: einen Styling-Guru, à la: „Wir gehen jetzt zusammen einkaufen und zum Friseur… diese Brille nicht, die Frisur machen wir jetzt so, und deine Klamotten sind ab sofort die und die…“ Ich war kein schöner Jugendlicher – und du brauchst auch gar nicht zu suchen, es gibt keine Fotos aus der Zeit. Ich habe alle vernichtet. Ich war echt nicht schön, boah… (lacht)

Jugendbuch-Couch: Gut, man entwickelt sich ja.

Benjamin Scholz: Zum Glück! (lacht). Es hat sich aber schon krass geändert. Früher bei uns war das Optische eher egal. Heute habe ich Jugendliche in den Klassen, die aussehen, als kämen sie jeden Morgen vom persönlichen Stylisten. Nur mit der Körperpflege isses gleich. (lacht)

Jugendbuch-Couch: Olfaktorisch?

Benjamin Scholz:(Schmunzelt) GENAU! DAS ist tatsächlich eine Herausforderung. Das können sich die wenigsten Leute vorstellen: geruchstechnisch ist das echt manchmal die absolute Hölle. Manche Eltern kennen das Phänomen auch, wenn irgendwann die Freunde zum Übernachten kommen und man geht am nächsten Tag in dieses Zimmer. Das ist schlimmer als Leichengeruch. (lacht)

Das Krasse ist ja: die merken das gar nicht! Die blenden diesen Geruch total aus. Vielleicht ist das für die sogar so eine Art Aphrodisiakum. Aber da mussten wir alle durch, und wir haben es alle geschafft.

Jugendbuch-Couch: Das stimmt. Gehen wir mal über zum Buch: Wie sind denn die Rückmeldungen auf Erwachsenenseite?

Benjamin Scholz: Ich glaube, tatsächlich nur positiv. Obwohl, nee. Es gibt eine Rezension, die negativ ist. Da war so eine Mutter, die gesagt hat: „Dieses Buch haben wir sofort zurückgeschickt, so vulgär wird bei uns nicht gesprochen.“ Da dachte ich mir dann: „Ist ja schön, dass bei dir zuhause nicht so gesprochen wird, aber dein Kind redet in der Schule definitiv so, also … schießt du dir ins eigene Knie.“ Das ist ungefähr so, wie wenn Eltern sagen: „Mein Kind befriedigt sich nicht selbst.“ Doch! Du verschließt nur die Augen davor. Aber ansonsten ist die Rückmeldung zum Buch sehr positiv. Oft hör ich: „Ich habe das ganze Buch an einem Tag gelesen, das ging so locker!“ Eine Lehrerin hat geschrieben, sie will zusehen, dass es in ein paar Auflagen in die Schulbibliothek kommt.

Jugendbuch-Couch: Super! Was war dir denn eigentlich wichtig für das Buch? Was im Vergleich zu anderen Aufklärungsbüchern ungewöhnlich ist, ist die eigene Erfahrung, die du reingebracht hast, oder auch diese Zettel, die man seinen Eltern vorlegen kann. War das deine Idee bzw. dein Wunsch?

Benjamin Scholz: Jein. Einiges ist mit meiner Lektorin zusammen entstanden. Das war eher ein „Brainstorming bei nem Kölsch“. Mir war wichtig, dass viiiele Bilder reinkommen, die auch alle selbstironisch und nicht idealisierend sein müssen. Das ist wichtig, Vielfalt und so. …und dann bekommt man den Budgetrahmen genannt und weiß: „ok, weniger Bilder“ (lacht)

Jugendbuch-Couch: Dafür aber sehr lustige Bilder!

Benjamin Scholz: Ja, ich bin auch mega begeistert! Ich habe meine Bildwünsche meiner Illustratorin geschildert und sie hat sie wunderbar umgesetzt. Die Sache mit den Elternbriefen… das ist auch gemeinsam gewachsen. Da es Jugendlichen ja so mega peinlich ist, Dinge anzusprechen, können sie halt jetzt die entsprechenden Seiten ausm Buch schneiden und hinlegen. Am Ende sollte es einfach ein kleines Kompendium sein, das Jugendliche sich neben das Bett legen und eine bestimmte Frage schnell mal nachschlagen können.

Jugendbuch-Couch: Gibt es eine Aussage, die du jedem Jugendlichen zur Hand geben würdest?

Benjamin Scholz: Das ist schwierig, das tatsächlich runter zu brechen. Aber in der Quintessenz: Ruhe ins Spiel bringen. Egal, wie du bist und was an dir ist, es ist okay. Akzeptiere dich selbst, du kannst dich nicht ändern; sei es von der sexuellen Orientierung oder der Größe des Geschlechtsteils. Sei nett zu anderen Menschen und respektiere ihre Lebensweise … Joa, so… Das alles in einem Satz (lacht).

Jugendbuch-Couch: Das hast du ja auch im Buch vermittelt, wenn es gerade in Richtung „andere Sexualität“ ging.

Benjamin Scholz: Das ist ja auch total wichtig! Das Problem hast nicht du, sondern die anderen. Kiddies schreiben mich an: „Ich weiß nicht, ob ich schwul bin, ich weiß nicht, ob ich lesbisch bin, bin ich hetero?“ Ja, na und? Natürlich ist es schön zu wissen, in welche Gruppe man gehört. Aber steck dich doch nicht selbst in die Schubladen. Mach doch einfach das, worauf du gerade Lust hast. Alles ist erlaubt, wenn es alle Beteiligten wollen!

Jugendbuch-Couch: Zu dem Thema hast du ja auch etliche Videos auf Youtube, u.a. ein Outing-Video für Eltern, wo sich der*die Jugendliche nicht traut, sich persönlich zu outen. Gibt es Reaktionen von Eltern, die sagen: „Mein Kind hat das wirklich gemacht, danke dafür?“

Benjamin Scholz: Oh ja! Eine Reaktion ist mir total im Kopf geblieben: Ein Vater hat mir ein Paket geschickt und einen herzzerreißenden Brief dazu gelegt. Er schrieb, dass er von seinem Sohn dieses Video geschickt bekam und er sich sehr gut aufgefangen fühlte. Er wusste es zwar schon vorher, aber sei über das offizielle Outing jetzt so froh, weil sie nun endlich wieder ein offenes Verhältnis haben. Im Paket waren dann noch 1000 Kondome mit dem Kommentar: „Deine Arbeit ist super! Verteil die Kondome auf deinen Fantreffen.“

Jugendbuch-Couch: Wenn du dann Schulklassen aufklärst und es geht auch in Richtung Bisexualität, Homosexualität, whatever… Kommt es dann vor, dass danach ein Jugendlicher zu dir kommt und sagt: „Hör mal, ich bin schwul“?

Benjamin Scholz: Selten, aber die, die schon geoutet sind, sitzen bei dem Thema plötzlich kerzengerade und ganz stolz in der Runde! Das ist dann ihr Moment. Man bemerkt aber auch, wenn jemand vermutlich zur queeren Community gehört, aber ungeoutet ist. Gleiches Phänomen übrigens auch beim Thema „Vorhautverengung.“

Jugendbuch-Couch: Verräterische Zuckungen?

Benjamin Scholz: (lacht) Genau! Große Augen und gleichzeitig der verschämte Blick auf den Boden. Wenn ich sage: „Das Zurückziehen der Vorhaut muss im schlaffen UND im steifen Zustand funktionieren“, siehste ziemlich deutlich, wer da Probleme hat…

Das Interview führte Juian Hübecker im Februar 2020.
Foto © Benjamin Scholz

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