Sex Education
Staffel 2

Serien-Kritik von Yannic Niehr / Titelmotiv: © Netflix

Sexualkunde der besonderen Art

Mit einer ästhetisch anspruchsvollen Montage zwanghafter Masturbation eröffnet die 2. Staffel von „Sex Education“ – und macht damit genau da weiter, wo die 1. aufgehört hat: Nachdem Otis Milburn, von seinem Vater bereits früh verlassen und geschädigt von seiner Mutter, der Sexualtherapeutin Jean, in punkto Sex lange Zeit so gestört war, dass er sich nicht einmal selbst anfassen konnte, ohne eine Panikattacke zu bekommen, so ist nun doch der Knoten geplatzt und er hat endlich – wie es sich für einen Jungen seines Alters gehört – die Selbstliebe entdeckt. Jetzt wird er aber von Hormonen so überschwemmt, dass er kaum noch aufhören kann. Und als wäre das nicht genug, wird es auch in punkto Romantik nicht gerade unkomplizierter…

Mit der „slutgeshamten“ Außenseiterin Maeve hat er in Staffel 1 die Not zur Tugend gemacht und ein lukratives Geschäft aufgebaut, indem er seinen Mitschülern Sexualberatung anbietet – denn ganz offensichtlich hat er mehr von seiner Mutter mitbekommen, als er dachte. Lange hat er sich nach Maeve verzehrt, die unerreichbar schien – nun, wo sie bereit wäre für ihn, hat er bereits eine Freundin: Ola. Und die ist ausgerechnet die Tochter des neuen Partners seiner Mutter.

Spannend verspricht es zu werden, als Jean an Otis‘ Schule als Beraterin in Sachen Sexualkunde angestellt wird – und damit, ohne es zu ahnen, mit ihrem Sohn in direkte Konkurrenz tritt. Bis sich in den letzten beiden Folgen die Dinge überschlagen und viele Fragen beantwortet, aber auch neue aufgeworfen werden, wird Otis von einigen emotionalen und sexuellen Höhen und Tiefen aus der Bahn geworfen. Dabei brauchen die Schüler der Moordale High beim Thema Sex mehr Hilfe als je zuvor…

„Everybody’s either thinking about shagging, about to shag, or actually shagging“

Mit „Sex Education“ hat die britische Theaterautorin Laurie Nunn einen Überraschungshit gelandet, und das völlig zurecht. Die Serie zeichnet sich durch ansprechende Figuren, sehr viel Humor, eine erfrischende Offenheit in Bezug auf ihr Titelthema und eine überraschend große Portion Herz aus. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis das Ganze in die zweite Runde ging. Diese ist sogar noch überzeugender als die erste: denn wo zuvor erst der Stein ins Rollen kam, wird nun auch größeren Entwicklungen Raum gegeben.

Otis (überzeugend verkörpert von Asa Butterfield) muss sich diesmal die Frage stellen, welche Art Mann einmal aus ihm werden soll. Doch zum Glück avanciert auch seine Mutter Jean (Gillian „Agent Scully“ Anderson) von einer Rand- zur zweiten Hauptfigur. Anderson, die schon in Staffel 1 mit überraschend viel komödiantischem Talent auftrumpfen durfte, darf nun eine noch viel größere Bandbreite zeigen, und es macht Spaß, dabei zuzusehen, wie die Maske der unterkühlt-distanzierten Therapeutin ins Rutschen gerät.

Wie zuvor werden die beiden von einem liebenswerten Ensemble an Jungschauspielern ergänzt. Allen voran besticht Ncuti Gatwa als Otis‘ bester Freund Eric Effiong mit seinem natürlichen Charme. Eric wird in dieser Staffel hin- und hergerissen zwischen seinem neuen, sehr offenherzigen Freund Rahim und seinen Gefühlen für Rektorsohn und Sorgenkind Adam Groff (Connor Swindells). Nachdem dieser ihn jahrelang schikanierte, führte ein unerwartetes Techtelmechtel zur Entdeckung ganz neuer Seiten – doch kann Adam sich diese auch selbst eingestehen? Seine Figur darf in dieser Staffel einen berührenden Weg gehen.

„You can’t choose who you’re attracted to“

Überhaupt stehen in Staffel 2 Beziehungen in all ihren Facetten deutlich mehr im Fokus als in der Vorgängerstaffel: Ola (authentisch: Patricia Allison) muss ihre mit Otis überdenken; Maeve (harte Schale, weicher Kern: Emma Mackey) geht eine neue mit dem Jungen von nebenan ein und ist darüber hinaus gezwungen, auch die zu ihrer drogenabhängigen Mutter neu zu definieren; und um die zu seinen Müttern geht es auch Jackson Marchetti (sehr gewinnend: Kedar Williams-Stirling), der den elterlichen Druck, ein Leistungsschwimmer zu werden, kaum noch erträgt und neue Pfade einschlagen will.

Sympathisch sind auch die vielen Nebenfiguren, wie z.B. die skurrile Lily (Tanya Reynolds) oder Neuzugang Viv (Chinenye Ezeudu). Doch auch die alten Gesichter aus Staffel 1 sind mit dabei. Es ist beeindruckend, wie leicht es der Serie sowie den Darstellern von der Hand zu gehen scheint, sie alle zu dreidimensionalen Menschen zu machen und jedem zumindest einen unvergesslichen Moment einzuräumen. Gerade durch diese Charaktere breitet „Sex Education“ eine große thematische Vielfalt aus und beleuchtet alle möglichen Spielarten der menschlichen Sexualität. Besonders positiv sei hier eine Storyline zu sexueller Übergriffigkeit um Aimee (Aimee Lou Wood) hervorgehoben, die unaufgeregt, aber konsequent gesponnen wird.

Dass die Serie (obwohl klar im Hier und Jetzt verortet) stilistisch an poppig-bunte 80er-Jahre US-HighSchool-Komödien erinnert, ist sicher kein Zufall, denn auch dort war Sex schon immer ein großes Thema. Den malerischen britischen Landstrichen und dem spießigen Kleinstadtflair werden so ganz neue Seiten abgewonnen, die von einem ohrwurmlastigen Soundtrack begleitet sind. Dies sorgt für eine Art Bruch, der verhindert, dass die teilweise doch recht ernsten Themen zu melodramatisch oder schwer daherkommen, ohne sie aber in Kitsch oder Klamauk abgleiten zu lassen – eine Gratwanderung, die in dieser Serie erstaunlich gut funktioniert. Dadurch gelingt „Sex Education“ erstaunlicherweise auch eine Einsicht zu vermitteln, die bei ihrer thematischen Gewichtung nicht unbedingt naheliegend wäre: nämlich, dass Sex, so sehr sich unser Leben auch oftmals darum drehen mag, nicht alles ist.

Fazit:

„Sex Education“ bleibt seinen Wurzeln treu und entwickelt sich doch ständig weiter! Das ein oder andere Klischee lässt sich gut verschmerzen, denn in Staffel 2 nehmen die Geschehnisse richtig Fahrt auf. Dass die Serie so gut funktioniert, verdankt sie ihrer originellen Umsetzung, ihren perfekt besetzten Darstellern (von denen, um den Rahmen nicht zu sprengen, hier leider viele unerwähnt bleiben mussten), sowie ihren intelligenten Drehbüchern. Darüber hinaus ist sie emotional aufrichtig und durchaus informativ – denn gerade Teenager, denen im echten Leben eben auch häufig alle möglichen Fragen zu Sex im Kopf herumspuken, können hier auf sehr unterhaltsame Art und Weise etwas lernen. Leider sind die 8 Folgen viel zu schnell wieder vorbei. So bleibt nur auf eine 3. Staffel zu hoffen, denn inhaltlich ausgeschöpft ist diese Sexualkunde noch lange nicht!

Bilder & Cover: © Netflix

SEX EDUCATION – Staffel 2

  • UK
  • seit dem 17.01.2020 auf Netflix Deutschland
  • Produktionsfirma: „Eleven“
  • Drehbuch: Laurie Nunn
  • 8 Episoden

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