Was, wenn wir genug sind?

  • Planet!
  • Erschienen: September 2023
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übersetzt von Ulrike Köbele; Broschur, 432 Seiten

ISBN: 9783522507820

Was, wenn wir genug sind?
Was, wenn wir genug sind?
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Kathrin Walther
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonFeb 2024

Ein einfühlsamer Roman mit einer tollen und abwechslungsreichen Story

Lily Larkin ist die perfekte Tochter, wahlweise auch eine super Schülerin, gute Freundin, umsorgende Schwester oder auch eine schnelle Läuferin und somit eine Bereicherung für das Schulteam. Zumindest wirkt sie so nach außen. Wie es in ihrem Kopf aussieht, ahnt niemand. Nach dem versuchten Suizid ihrer Schwester Alice, die sie gerade noch vor dem Verbluten retten konnte, ist nichts mehr wie vorher. Lily macht sich Vorwürfe, nicht eher etwas gesagt zu haben, denn sie kannte die Narben an Alices Armen. Immer wieder sieht sie das Blut auf dem Badezimmerboden und wie sich damit alles veränderte. In der Schule darf niemand wissen, dass ihre Schwester psychisch krank und in einer Klinik ist, denn dann wäre auch sie als Schwester einer „Verrückten“ abgestempelt, so ihre Befürchtung. Als dann auch noch ein ehemaliger Mitpatient von Alice zu ihrem Partner im Kunstprojekt wird, hat sie das Gefühl, alles läuft schief. Das Lauftraining überfordert sie immer stärker, sie schläft nachts nicht mehr richtig, alles um sie herum wirkt wie eine Bedrohung, der sie nicht mehr gewachsen ist.

Von Tag zu Tag fällt es ihr schwerer, ihren Alltag zu meistern, erst recht, als Alice mit der Diagnose bipolare Störung entlassen wird und sich wieder zuhause mit ihr ein Zimmer teilt. Dass die Krankheit ein großes Tabuthema in der Familie wird, macht es nicht einfacher und die ständige Angst um die Schwester gemischt mit der eigenen Angst zu scheitern ist nun omnipräsent. Zum Glück ist da noch Micah, ihr Kunstpartner, den sie anfangs aufgrund seiner psychischen Probleme genauso verurteilt hat, wie es nun ihre Mitschüler machen. Schritt für Schritt freunden sich die beiden an und entdecken in der Kunst eine gemeinsame Sprache, mit der sie ihre dunklen Gefühle und Ängste ausdrücken können, um sie so weniger beängstigend werden zu lassen. Hat Micah seine Zeichnungen, sind es bei Lily Gedichte. Gemeinsam machen sie als Guerilla-Künstler die Schule unsicher, gleichzeitig planen sie, ihre noch geheimen Aktionen später öffentlich zu machen, um sie als Projekt einzureichen, was ihnen sicherlich den ersten Platz und somit ein Stipendium sichern würde. Doch immer noch hat Lily das Gefühl, nicht genug zu sein und langsam selbst verrückt zu werden. Ob es ihr gelingen wird, aus dem Strudel der Angst wieder herauszufinden?

Nur wer perfekt ist, zählt?

Erin Stewart erzählt in ihrem Roman die Geschichte von Lily, die an den Ansprüchen, die von Familie und Gesellschaft vermeintlich an sie gestellt werden, langsam zu zerbrechen droht. Sie hat das Gefühl, sich keine Fehler und Schwächen erlauben zu dürfen, um von Familie, Freunden und Lehrern geliebt und anerkannt zu werden. Je mehr Druck sie sich macht, desto weniger ist sie in der Lage, ihren Anforderungen gerecht zu werden, die mit wenig Schlaf, Schlaftabletten und ständiger Angst nicht mehr zu erfüllen sind. Dass Erin Stewart in ihrem Roman über eigene Erfahrungen als Jugendliche berichtet, spürt man an vielen Stellen des Romans, der sehr authentisch und nah an Lilys Gefühlen erzählt, wirkt.

Da die Geschichte in der „Ich“-Perspektive geschrieben ist, fällt es auch als Leser nicht schwer, sich in Lily hineinzuversetzen und ihre Gedanken nachzuvollziehen und mit ihr mitzufühlen. Gerade für Menschen ohne psychische Erkrankung ermöglicht dies wertvolle Einblicke und kann für mehr Verständnis gegenüber Personen mit verschiedenster Diagnose sorgen, denn auch heute noch werden Betroffene viel zu häufig abgestempelt, wie auch die Reaktionen einiger Mitschüler in Lilys Umfeld zeigen und wie Micah in einem Gespräch mit Lily toll formuliert: „Ich hab einfach diese Vision, weißt du? Von einer Welt, in der man nicht anhand einer Diagnose beurteilt wird und nicht automatisch als schwach oder gefährlich oder anders gilt, wenn man sich Hilfe sucht. Und manchmal vergesse ich, dass unserer Welt noch nicht an diesem Punkt ist.“

Sprache und Gestaltung

Auch sprachlich kann der Roman auf ganzer Linie überzeugen, was nicht zuletzt durch Lilys treffende Gedichte geschieht, wie beispielsweise „Nur in meinem Kopf“:

Ruhig. Entspann dich. Denk Einfach Nicht Darüber Nach. Verlange von mir, nicht zu atmen. Das Blut in meinen Adern anzuhalten. Nicht zu existieren. Nicht mehr ich zu sein. Denn ist nicht genau das damit gemeint? Sei jemand anderes. Jemand Besseres. Jemand, der Nicht Komplett Verkehrt Ist.

Zusätzlich arbeitet Erin Stewart mit weiteren Elementen wie Ausschnitten des High-School-Chats, in dem die Stimmen der Mitschüler laut werden, die ihre Kunst teilweise anerkennen, aber auch psychische Erkrankungen laut angehen. Auch erscheinen im Roman immer wieder durchgestrichene Sätze, die für nicht ausgesprochene Gefühle und Gedanken stehen, die Lily lieber für sich behält und die deutlich machen, wie sehr sie sich verstellt und versucht nicht aufzufallen und die Erwartungen zu erfüllen. Gleichzeitig kommt auch die Story nicht zu kurz, die durch die zarte Liebesgeschichte mit Micah, die Probleme im Elternhaus und mit ihrer Schwester und typischen Teeangersorgen eine abwechslungsreiche Mischung zu bieten hat.

Fazit

Ein überzeugender Roman, der das Thema Mental Health auf einfühlsame Weise in den Fokus rückt. Anhand von Lily werden psychische Erkrankungen sowohl aus der Innen- als auch aus der Außensicht näher betrachtet, sodass verschiedene Perspektiven eingenommen werden können und Vorurteile hoffentlich Stück für Stück reduziert und Verständnis aufgebaut werden kann.

Was, wenn wir genug sind?

Erin Stewart, Planet!

Was, wenn wir genug sind?

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