Die Tribute von Panem X: Das Lied von Vogel und Schlange

  • Oetinger
  • Erschienen: Mai 2020
  • 3

Hardcover, 608 Seiten

ISBN: 9783789120022

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Yannic Niehr
6101

Jugendbuch-Couch Rezension vonJun 2020

Von Singvögeln und Giftschlangen

Der Krieg gegen die Rebellen ist vorbei und langsam, aber sicher erholen sich die Bürger des Kapitols – glorreiche Hauptstadt Panems – von den Schrecken der Vergangenheit. Unter ihnen Coriolanus Snow, ein 18jähriger Sprössling aus gutem Hause, dessen Eltern jedoch in der schweren Zeit umkamen und der nun mit seiner Cousine und Großmutter zusammenlebt. Snow hat es nicht leicht: gehörte seine Familie einst zu den angesehensten und wohlhabendsten Panems, ist ihm praktisch nichts geblieben außer dem guten Ruf, den zu wahren sein höchstes Anliegen ist.

Da kommt es ihm gerade recht, dass nunmehr die 10. Hungerspiele anstehen – denn dieses Jahr sollen Schüler der prestigeträchtigen Akademie, die er besucht, als Mentoren für die ausgewählten Tribute fungieren. Snow sieht darin seine Chance, wieder an Bedeutung zu gewinnen und sich vielleicht sogar ein begehrtes Stipendium zu erringen, womit er den Namen Snow reinwaschen und die Familienehre wiederherstellen könnte.

Er ist allerdings nicht gerade begeistert, als ihm ausgerechnet ein Tribut aus Distrikt 12, einem der ärmeren Gebiete des Landes, zugeteilt wird: Lucy Gray Baird. Doch diese sorgt schon bei ihrer Ernte für Aufsehen, als sie der Tochter des Bürgermeisters eine Schlange in den Ausschnitt steckt und anschließend inbrünstig ein Lied zum Besten gibt. Das Mädel fällt auf, und schnell avancieren Lucy und Coriolanus zum vom Publikum favorisierten Pärchen. Sogar eine Romanze scheint nicht ausgeschlossen. Doch sind dies immer noch die Hungerspiele, und diese stehen dieses Jahr unter keinem guten Stern: bereits im Vorfeld sterben Tribute an Hunger, wird eine Mentorin von ihrem eigenen Tribut in einem unachtsamen Moment ermordet, verüben Rebellen einen Anschlag auf die Arena, tut Klassenkamerad Sejanus Plinth (dessen Familie gebürtig aus Distrikt 2 stammt) lautstark seine Regimekritik kund – kurz: geht überhaupt schief, was nur schief gehen kann.

Inmitten all dessen versucht Coriolanus, seine Lucy durchzubringen und den Sieg davonzutragen. Um ihn herum entspinnen sich Intrigen, die von den höchsten Tieren im Kapitol ausgehen, während in der dreckigen Arena mehr und mehr das Tier im Menschen zu erwachen scheint. Schon bald muss Corionalus sich entscheiden, welche Rolle er im politischen Gefüge Panems spielen will…

„Snow lands on top!“

Suzanne Collins‘ Tribute von Panem-Trilogie avancierte zum Weltbestseller, und die erfolgreichen Verfilmungen taten ihr Übriges. Die Mischung aus Sci-Fi-Dystopie, Gesellschaftskritik und Romance ging auf und fand sowohl unter Jugendlichen als auch Erwachsenen weltweit Anklang. Da überrascht es beinahe, dass ein im selben Universum angesiedeltes Prequel solange auf sich warten ließ. Hauptfigur ist nun Coriolanus Snow, der später zum gefürchteten Diktator Panems aufsteigen wird. Collins‘ Welt strotzt vor interessanten Ideen, die allen möglichen Genres entlehnt sind, und glänzt in diesem Roman mit hohem Wiedererkennungswert, aber auch einem typisch rasanten, unterhaltsamen Schreibstil. Leider muss sich dieser Roman an der Ur-Trilogie messen lassen, und schneidet dabei deutlich schlechter ab:

In Das Lied von Vogel und Schlange wimmelt es vor verpassten Gelegenheiten. Zwar werden bestimmte Details, die das Fanherz höher schlagen lassen dürften, durchaus aufgegriffen (so z.B. Snows Rosenduft), doch hätte man diese Welt viel interessanter ausbauen können. Eine der spannendsten Fragen in Bezug auf Collins‘ Werk ist die, wie aus Nordamerika Panem werden konnte – doch die Autorin schien an der Antwort nie sonderlich interessiert und bleibt sie weiterhin schuldig.

Die Wurzeln der vom römischen Reich inspirierten Ikonographie des Kapitols werden ebenfalls nicht näher betrachtet. Und anstelle einer Biographie von Präsident Snow, der seine Widersacher skrupellos vergiftet und um jeden Preis seine Macht bewahren möchte, erhalten wir nur einen relativ kleinen Ausschnitt seiner Jugendjahre, in dem seine Entwicklung zwar zu erahnen ist, aber oftmals überstürzt hineingezwängt und zurechtgebogen wirkt. Snow ist gefährlich pragmatisch, opportunistisch und undurchsichtig – eine vielschichtige Hauptfigur. Leider wirkt seine Ambivalenz über weite Strecken nicht in ihrer Konsequenz durchgeplant und erscheint teilweise ziellos. Dagegen wirkt das Ensemble an Nebenfiguren sehr fesselnd, allen voran Oberspielmacherin Dr. Gaul, die die Grenze zum Wahnsinn schon lange überschritten zu haben scheint.

„Wer sind wir Menschen? Die Antwort auf diese Frage bestimmt auch, was für eine Regierung wir brauchen“

Ein Problem des Buches – welches auch die Ur-Trilogie teilt, allerdings weniger ausgeprägt – ist die unausgewogene Struktur. Nach dem Ausgang der Hungerspiele im zweiten Teil nimmt der Plot eine Wendung, die den Spannungsbogen im letzten Drittel rapide absinken lässt. Entweder hätte Collins ihre Vorgeschichte breiter aufstellen und ebenfalls auf mehrere Bände verteilen oder sie deutlich straffen sollen. So wie es ist, wirkt das Buch oftmals zäh und um einiges länger, als es sein müsste. Der Ideenreichtum der Autorin scheint hier mit ihr durchgegangen zu sein, und die Story will sich zu keinem stimmigen Ganzen fügen. Doch die guten Ansätze sind durchgängig vorhanden, sodass bei der Lektüre zumindest keine Langeweile aufkommt.

Fazit

Fans werden sicher ihre Freude an einem weiteren Ausflug nach Panem haben – Suzanne Collins‘ Stil und Unterhaltungswert sind unverkennbar, einige Anspielungen an die Tribute-Trilogie lassen sich entdecken, und manche der Dialoge über Hunger, Krieg, Herrschaft und Klassenkampf regen durchaus zum Nachdenken an. Als eigenständiges Werk ist Das Lied von Vogel und Schlange insgesamt aber leider zu unausgegoren.

 

Die Tribute von Panem X: Das Lied von Vogel und Schlange

Suzanne Collins, Oetinger

Die Tribute von Panem X: Das Lied von Vogel und Schlange

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