Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2016
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  • Fischer, 2015, Titel: 'This Raging Light', Originalausgabe
Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance
Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance
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Stefanie Eckmann-Schmechta
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonMai 2016

Was kann eine 17-jährige eigentlich noch alles aushalten?

Das fragt man sich unweigerlich, wenn man - was erstaunlich schnell geht - in die Welt von Lucille abtaucht. Nicht genug, dass ihr Vater durchgedreht und seitdem von Radar verschwunden ist, Ihre Mutter seit Wochen ebenfalls im Nirgendwo abgetaucht ist, ihre kleine Schwester Wren vor all dem irgendwie beschützt werden muss ... nun geht Ihnen auch noch das Geld aus und Lucille steht vor dem existenziellen Nichts. Und dann ist da noch Digby, in den sie rettungslos verliebt ist - der aber der Bruder ihrer besten Freundin ist und außerdem bereits schon lange eine sehr feste Freundin hat. Sie ist allein - mutterseelenallein.

Keine Frage, Lucille ist zwar stark, aber vollkommen mit der Verantwortung für sich und ihre Schwester überfordert. Dabei versucht sie, die Wahrheit über ihre traurige Situation vor den Nachbarn, der Schule, den Eltern ihrer besten Freundin Eden, vor der ganzen Welt zu verbergen. Die Angst, das Jugendamt könnte auf sie aufmerksam werden und sie und Wren trennen, ist einfach zu groß. Allein Eden und ihr Bruder Digby wissen von Lucilles trauriger Lage, die ebenfalls nicht müde werden zu erzählen, die Mutter sei im Urlaub oder habe einen neuen Job angefangen.

Eine neue Bekannte durchschaut die verschlossene Lucille schnell. Sie arbeitet in einem angesagten Diner und überredet Lucille sich dort einmal vorzustellen. Für die schüchterne Lucille eine Horror-Vorstellung. Doch die Not ist so groß, dass sich dazu durchringt, sich probeweise in Tank-Top und Hot-Pans stecken zu lassen. Sie macht ihre Sache gut und wird vom Fleck weg engagiert. Von nun an steht Lucille im Dauerstress zwischen Schule, Haushalt und Job, der bis abends spät geht. Eden verspricht in der Zeit, da Lucille arbeiten geht, auf Wren aufzupassen. Doch allzu bald funktioniert das nicht mehr mit Edens Lebensplanung, die einmal eine erfolgreiche Balletttänzerin werden will. Da springt Digby ein. Durch die neue Nähe zwischen Lucille und ihm entsteht ein Sog, dem die beiden nicht lange widerstehen können. Denn es scheint, als sei Digby mindestens ebenso verliebt in Lucille wie sie in ihn. Doch Lucille kann darüber nicht glücklich sein, denn Digby kann und will sich nicht ganz zu ihr bekennen, hängt noch zu sehr an seiner Freundin, mit der er schon von Heirat spricht. Dann - scheinbar durch ein falsches Wort von Lucille - verschwindet Eden aus ihrem Leben, zieht sich komplett zurück. Lucille leidet sehr darunter, zwingt sich aber weiter zu machen.

Schließlich erhält sie Nachricht von ihrem verschollenen Vater. Ebenjener, der versucht hat ihre Mutter zu erwürgen, weil er sie für sein verpfuschtes Leben verantwortlich gemacht hat. Obwohl Lucille ihn in der Nervenheilanstalt besucht, hat sich bereits dafür entschieden, unabhängig zu bleiben. Sie will seine Hilfe nicht mehr. Unterdessen geschehen merkwürdige Dinge in und um ihr Haus. Die Schränke sind prall mit Lebensmittel gefüllt, die Wäsche gewaschen, das Haus geputzt, der Rasen gemäht... wer kann das gewesen sein? Wer weiß von ihrer Situation? Als Lucille sich endlich wieder mit Eden an ihrem Geheimplatz trifft, endlich die große Aussprache stattfindet, geschieht ein großes Unglück, das ihr Leben restlos auf den Kopf stellt. Genau: Was kann eine 17-jährige noch alles aushalten?

Intensiv von der ersten Seite an

Die Protagonistin ist eine tapfere junge Frau, die sich lange durchwurschtelt - ihr bleibt aber wirklich nichts erspart. Nicht mal der unerträglich verantwortungslose und egoistische Vater. Auch wenn jetzt alles so hoffnungslos klingt: Die amerikanische Autorin Estelle Laure zog mich von den ersten Zeilen an für Lucille in den Bann. Vielleicht weil so authentisch erzählt, vom Erwachsenwerden, von der ersten, ganz großen Liebe, davon, dass es schwer aber notwendig ist auch anderen zu vertrauen - dass es immer mehr Menschen auf unserer Seite gibt, die auf uns aufpassen, als wir vielleicht glauben. Es heißt doch, dass sich in den dunkelsten Stunden unsere wahren Freunde zeigen. Und so ist es auch hier. Das Leben und die Menschen zeigen Lucille, dass sie eben nicht mutterseelenallein ist - auch wenn ihre Mutter sich dazu entschieden hat, ihre Kinder zu vergessen. Das ist und bleibt die andere, sehr schlimme Wahrheit.

Die Frage, die sich von Anfang an stellt - wie kam es überhaupt zu dieser Situation, was ist mit dem Vater geschehen, in jener Nacht, da er durchgedreht ist - ist einfach zu drängend, als dass man das Buch einfach wieder beiseitelegen möchte. Zunächst in der Gegenwart, schwenkt die Erzählung immer wieder zurück in die Vergangenheit, schließt Lücken im Gesamtbild, zeigt auch das Leben nach dem Ausraster des Vaters; die Peinlichkeit, die Hoffnung, das Resignieren. Die Schilderungen der Gegenwart sind nicht weniger spannend, sie sind atmosphärisch und lebendig. Dabei hat mich Estelle Laures gute Sprachwahl am ehesten "an den Haken genommen" - sie erzählt auf den Punkt: Einerseits wirkt ihre Sprache leicht, sie ist aber gleichzeitig tiefgründig und immer wieder überraschend. Laure hat ihren eigenen, harmonischen Erzählrhythmus, man "hört" ihr wirklich gerne zu. Wenn Luiclle von der "Digbyheit" insgesamt spricht, weil ihr die Worte für seine Großartigkeit fehlen; ihren vollkommen verliebten Blick auf ihn, dessen Beschreibung ich niemals kitschig fand. Sie gibt zu, dass sie hoffnungslos verrückt nach ihm ist.

Die Momente zwischen ihr und ihrer kleine Schwester, die sieben Jahre jünger ist, sind berührend. Sie zeigen Lucilles Bemühen, dem Mädchen nichts von ihrer eigenen Verzweiflung anmerken zu lassen. Sie zeigen ihre kleinen, aber mühseligen Schritte zur täglichen Routine, um das Pensum zu schaffen. Das ganze große Knäuel an Problemen und die Begegnungen mit Menschen, die ihre Not sehen, von denen sie sich aber nicht helfen lassen will, wird in dem Schreibstil von Etselle Laure spürbar. Die Geschichte verläuft - sowohl für Lucille als auch für den Leser - wie im Rausch, bis zu einem Punkt, da sich die Situation unrettbar zuspitzt.

Aus all dem ergibt sich ein sehr guter Spannungsbogen, auch wenn in der Geschichte nicht so viel Dramatisches passiert. Und entgegen vieler Meinungen anderer Leser/innen finde ich das Ende überhaupt nicht offen. Aber sehr gerne hätte ich Lucille weiter begleitet und ihr zugehört.

FAZIT

Ich war sofort neugierig auf dieses Mädchen, das so trocken-humorvoll und dann wieder so berührend von ihrem Schicksal erzählt. Vor allem die Sprache und die gelungene Dramaturgie dieses Romans hatten mich von der ersten Zeile an "am Haken".

Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance

Estelle Laure, Fischer

Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance

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